Es ist 11:53 und die Uhr tickt. Johnny starrt auf den Sekundenzeiger, der gnadenlos weiter klickt, reißt seinen Blick los und rennt weiter. Nur noch sieben Minuten und alles ist vorbei.
Wie konnte er nur einschlafen. Wieso hatte er den Wecker nicht gehört?
Drei Monate Vorbereitung. Drei Monate völlig umsonst, wenn er es nicht schaffte, rechtzeitig anzukommen …
Spannung kannst du auf viele verschiedene Arten erzeugen. Eine sehr effektive Methode ist »der Kampf gegen die Zeit«.
Das liegt zum einen sicher daran, dass jeder weiß, wie es sich anfühlt, eine Deadline zu haben, sodass der Leser mitfühlen kann. Vielleicht ist der Grund dafür sogar philosophischer Natur. Immerhin ist unser Leben endlich und deshalb arbeiten wir alle in jedem Augenblick »gegen die Zeit«.
Auf jeden Fall hast du mit der tickenden Uhr ein sehr interessantes und vielseitiges Werkzeug an der Hand, um deine Geschichte spannender zu machen, wenn du ein paar Dinge beachtest.
1. Konsequenzen
Das Ablaufen der Uhr muss echte und harte Konsequenzen haben.Ein Wecker, der nur klingelt, damit er klingelt, ist nichts anderes als nervig. Im echten Leben, genauso wie in Geschichten.
Also, mach deutlich, dass es Konsequenzen geben wird und am besten auch, welche Konsequenzen das sein werden. Je »expliziter«, desto besser.
Im Beispiel oben haben wir nur vage Konsequenzen (vergebliche Arbeit). Was, wenn das Leben von Johnnys Schwester auf dem Spiel stünde? Oder das Schicksal der ganzen Welt?
Natürlich können Konsequenzen nicht immer so extrem sein. Aber der Fakt alleine, dass er weiß, was passiert, kann den Leser dazu bringen für den Protagonisten die Daumen zu drücken.
Verschiedene Möglichkeiten für tickende Uhren:
1.1 Ein Zeitzünder
In diesem Fall ist tatsächlich die Uhr der Gegner. Natürlich wird sie von irgendjemandem oder irgendetwas „gesetzt“, aber tatsächlich ist es das Ticken des Weckers, gegen das der Protagonist antritt.
Das beste Beispiel dafür ist eine echte Bombe mit Zeitzünder. Sofort stehen Leben und Tod auf dem Spiel. Nicht ganz so dramatisch sind Wettbewerbe, bei denen nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung steht u.ä.
1.2 Die Deadline
Eine Deadline wird durch äußere Umstände oder Begebenheiten gesetzt. Die Medikamente müssen in drei Stunden da sein, damit der Patient überlebt. Oder du musst deine Hausarbeit bis morgen um drei abgeben, damit sie benotet werden kann und du nicht automatisch mit einer 6 nach Hause gehst.
Es gibt hier keine tatsächliche tickende Uhr, aber eben einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem du „fertig sein musst“, bevor „alles vorbei“ ist.
1.3 Das Ultimatum
Ein Ultimatum wird durch eine Person gesetzt. „Wenn du bis morgen nicht … werde ich …“
Das kann bei einem Verbrechen geschehen, wenn der Entführer seine Bedingungen stellt, aber es muss nicht unbedingt ein Leben auf dem Spiel stehen. Das kann auch ein Job sein, eine Beziehung oder die Verteilung von Süßigkeiten auf dem Spielplatz: „Wenn du es schaffst die Erbsen zu sortieren, bevor Klaus auf den Turm geklettert ist, dann bekommst du die ganze Tüte für dich allein.“
Anmerkung:
Die drei Uhr-Möglichkeiten haben keine messerscharfen Grenzen und überlappen teilweise. Wo du deine eigene „tickende Uhr“ einsortierst ist relativ egal. Hauptsache, sie erfüllt die 3 Bedingungen (Konsequenzen, Zeit und Fortschritt sind deutlich).
2. Feste Zeit
Die zweite Sache, die du unbedingt beachten musst, sind „feste Zeiten“. Was meine ich damit?
Es muss klar sein, wie viel Zeit der Protagonist hat, um gegen die Uhr zu gewinnen. Und diese Zeit darf sich nicht verändern.Sagen wir, es zeichnet sich ab, dass die Zeit zu Ende geht und dass der Protagonist es wirklich nicht schaffen kann. Wenn du in dem Fall hingehst und die Zeit verlängerst, verliert die Uhr sofort all ihre Macht. Der Leser weiß, dass du es einmal getan hast und geht davon aus, dass du es jederzeit wieder tun wirst. Also: Entweder muss der Charakter »es« schaffen oder er muss mit den Konsequenzen leben (dafür sind sie da).
3. Fortschritt deutlich machen
Die dritte Sache, die du beachten musst ist, dass der Leser weiß, „wie nah das Ende der Uhr“ ist. Das ist nicht ganz einfach. Erstens, kannst du nicht nur „Sekunden“ als tickende Uhr benutzen.
Wie oben in dem Süßigkeiten-Beispiel funktionieren auch „andere Dinge, die Zeit beanspruchen“.
Zweitens besteht die Schwierigkeit einer geschriebenen Geschichte darin, dass auf einer Seite 2 Sekunden vergehen können oder 2 Millennia.
Deshalb musst du dem Leser zu jedem Zeitpunkt ein Gefühl dafür geben:
- „Wo“ befinde ich mich? (Zeitlich im Bezug auf die Uhr.)
- Wie schnell vergeht die Zeit?
Eine einfache Möglichkeit dafür ist, eine Szene mit dem jeweiligen Datum bzw. der Uhrzeit zu beginnen. Die Serie 24 hat das hervorragend umgesetzt, fast jeder Szenenwechsel wird mit der herunterzählenden Uhr begonnen und so wird der Zuschauer schon beim Hinschauen kribbelig.
Stattdessen kannst du natürlich auch die Gedanken der Charaktere benutzen, um auf die verstreichende Zeit hinzudeuten oder durch ihre Gefühle deutlich machen, wie schnell die Zeit gerade vergeht.
Hauptsache, der Leser hat Gelegenheit, die Spannung, die durch die Uhr entsteht, bis ins Mark zu spüren. Dafür kann es auch Sinn machen, die Konsequenzen immer mal wieder in Erinnerung zu rufen oder durch Foreshadowing deutlich zu machen.
Jetzt du:
Hast du schonmal eine Uhr benutzt? Wie sah diese Uhr aus?
Was ist die spannendste „Uhr“ über die du je in einer Geschichte gelesen hast?
Würde eine Uhr in deine aktuelle Geschichte passen? Was benutzt du, um deine aktuelle Geschichte spannend zu machen?
Marina meint
Liebe Jacky,
sehr spannende Sache und toll zusammen gestellt und erklärt
An die Serie „24“ musste ich gleich am Anfang denken. das war schon super gemacht. Als zweites fiel mir der Film „In Time“ ein, bei dem jeder Mensch nur eine begrenzte Lebenszeit hatte, die auf dem Unterarm abgebildet wurde und langsam runterzählte.
*Spoiler*
Die krasseste Szene war zu Beginn, als der Protagonist von einem anderen „(Zeit)reichen“ Menschen, der seines Lebens überdrüssig war, 100 Jahre geschenkt bekommen hatte. Seine Mutter hingegen hatte nur noch wenig Zeit, konnte sich die Busfahrt (die auch mit Zeit bezahlt wurde) nicht leisten und musste nach Hause rennen. Letztlich sind sich die beiden entgegen gelaufen, aber haben sich nur eine Sekunde zu spät getroffen, so dass die Mutter tot in seine Arme gefallen ist. Da hab ich auch mega mitgefiebert, obwohl eigentlich klar war, dass es schief gehen muss, weil dass der Auftakt für sein Abenteuer war.
In Büchern kann ich mich jetzt gar nicht so daran erinnern, hab es aber sicher auch schon oft auf die ein oder andere Art gelesen. Zählt eine Erkrankung, bei der man zum Beispiel nur noch drei Monate zu leben hat, auch?
Dann würde mir spontan „Staying Alive“ von Matt Beaument einfallen. Auf jeden Fall, werde ich da in Zukunft mal bewusst drauf achten
Danke noch mal fürs Erklären und den Hinweis auf dieses Spannungselement. Hab noch einen schönen Sonntag
Jacky meint
Ja, 24 war klasse
Und die Krankheit würde ich als „Deadline“ definitiv zählen lassen
Freut mich, dass es dir gefällt und weiterhilft
Ganz liebe Grüße
Jacky
Sabine Moser meint
Toller Tip, vielen Dank!!!
Gerd Kramer meint
In meinem aktuellen Buch „Der Himmel über Nordfriesland“ – bei Emons) ist die Uhr die Flut. Das Opfer liegt eingegraben im Watt und die Flut droht es zu ertränken. Die Kommissare müssen es rechtzeitig finden und befreien.
Jacky meint
Owei, das klingt nicht gerade nach einer tollen Situation, in der ich gerne wäre. Dafür klingt es nach einer tollen „Uhr“
Tatjana meint
Tatsächlich finde ich es schwer, eine Uhr zu benutzen und richtig mitzufiebern, wenn eine benutzt wird, weil die Konsequenzen meistens so drastisch sind, dass es klar wird, dass sie niemals eintreten werden. Vor allem, wenn so etwas wie das Ende der Welt auf dem Spiel steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Protagonist es *nicht* schafft, ist selbst bei „harmlosen“ Konsequenzen sehr klein. Oder vielleicht lese ich auch einfach die falschen Bücher 😉
Dabei ist das Prinzip des Kampfes gegen die Zeit eines, das ich durchaus mag. Die Umsetzung allein ist es, die mich meistens nicht zufriedenstellt. Wenn es um alles oder nichts geht, entsteht für mich keine Spannung – deshalb mag ich es letztendlich lieber, wenn es keine Deadline gibt, dafür aber das ganze Spektrum von Versagen bis Gewinnen (bittersüße Enden sind meine liebsten und lassen sich oft schwer mit einem Kampf gegen die Zeit vereinbaren).
Um Spannung zu erzeugen, bediene ich mich am liebsten Geheimnissen, zu denen du auch schon mal tolle Artikel geschrieben hast – vor allem Geheimnisse, die der Leser durch Hinweise selbst erraten kann. 🙂
Jacky meint
Ich denke, wenn die Geschichte gut geschrieben ist, dann ist es nicht notwendigerweise die Frage „ob sie es schaffen“, die den Leser auf die äußerste Stuhlkante treibt.
Bei richtig guten Büchern ist es eher die Frage. „O, mein Gott, wie schaffen sie es bloß, das Happy End zu erreichen?“
Dafür muss der Autor aber etabliert haben, dass er seine Charaktere nur glaubwürdig handeln lässt und der Leser muss völlig ratlos sein, wie sie glaubwürdig aus der Situation wieder raus kommen.
Du hast aber völlig recht, dass die Umsetzung schwierig ist, eben weil in einem einzigen Satz Jahrhunderte vergehen können.
Und Geheimnisse sind auch ein tolles Mittel, um Spannung zu erzeugen.
Ganz liebe Grüße
Jacky
Ulrike meint
Hallo,
Ich hatte in einer Geschichte eine „Uhr“, wo sich die Zeit noch verkürzt hat. Die Kolonie auf einem neuen Planetem war gerade von einem vom Himmel fallenden Organismus überrascht worden, der alles organische zerstört, als zusätzlich immer näher an der Kolonie Vulkane etc ausbrachen. Natürlich hatten sie sich die schönste Stelle ausgesucht auf dem Planeten, unterhalb von 3 alten Vulkanen. Um sich besser gegen den Organismus zu schützen, planten sie den Umzug in die Höhlensysteme im Norden – schon zeitkritisch genug, weil sie kaum genug Flugmaschinen hatten, sich gegen den Organismuszu verteidigen! Und natürlich alles zu transportieren. Als plötzlich einer der Vulkane bei der Kolonie anfing zu rauchen (bricht auch irgendwann aus). Panik perfekt. Irgendwie schaffen sie es trotzdem, aber es sterben Menschen, sie kriegen nicht alles mit etc.
Auch ein schönes Werkzeug, die eh schon knappe Zeit noch weiter zu verkürzen, sodass alle Pläne nicht mehr funktionieren. „Gut“ ausgehen kann es im gewissen Rahmen ja dann immer noch.
Ähnlich hab ich es bei mir auch gemacht. Es sollen x Leute aus einem Kerkee befreit werden. Dafür wird (magisch) ein Tunnel gebohrt, und irgendwann fangen sie an, die ersten Gefangenen während der Mittagspause der Wachen zu befreien. Irgendeine Wache will dann aber in ihrer Pause ein paar der Gefangenen ärgern…
Auch das kann den Druck erhöhen, da es eine bekannte Situation ist. Deadline wird durch nicht beeinflussbares Ereignis noch weiter verkürzt – was der/die Prota noch nicht mal erfahren muss, ehe die Zeit abgelaufen ist.
Liebe Grüße
Ulrike
Jacky meint
Schlimmer geht immer
Wegen deines Kommentars hab ich gerade überlegt, ob es vielleicht eine Möglichkeit gibt, die Zeit zu verlängern, ohne dass es dadurch langweilig wird.
Ich glaube, das wäre mit ein bisschen Anstrengung tatsächlich möglich.
Sagen wir, sie müssen eine Bombe entschärfen, wenn die explodiert, bricht der Damm und die Stadt darunter wird zerstört.
Jetzt schaffen sie es gerade so rechtzeitig, die Bombe zu entschärfen, aber nur, indem sie „irgendwas“ kaputt machen.
Durch dieses „etwas“ entsteht ein Riss und der Damm wird auf jeden Fall brechen.
1. Sie sind Schuld an der „neuen Uhr“
2. Sie haben sich durch ihren Einsatz ein bisschen Zeit „verdient“.
Aber so etwas umzusetzen, erforder sehr viel Planung und jede Menge Fingersptizengefühl, eben, damit es nicht langweilig/vorhersehbar wirkt.
Ganz liebe Grüße
Jacky
Jürgen meint
Liebe Jacky,
vielen Dank für den tollen Beitrag,
ich hatte diese Möglichkeit bisher eher unbewusst eingesetzt, natürlich blieb da noch Luft nach oben. In Zukunft werde ich es gleich beim Plotten mit einplanen, wann, wie und wo …
Hab einen schönen Nachmittag.
Viele liebe Grüße
Jürgen
Ursel meint
Hi Jacky,
gerade schreibe ich eine Geschichte, meine erste. Zwei befreundete Protagonisten leben an völlig verschiedene Orten, die eine (in Deutschland) die andere (auf Ibiza). Der Fokus konzentriert sich auf das erlebte der Protagonisten in der gleichen Zeit, bis sie sich wieder sehen.
Das ist meine Vorstellung von der Uhr. Aber ich weiß nicht ob dieses Werkzeug dazugehört. Wie immer Jacky prima erklärt.
Vielen Dank für alles!
Liebe Grüße
Ursel
Jacky meint
Hi Ursel,
ich denke, es ist dann eine „echte“ Uhr, wenn der Leser weiß, dass sie sich wiedersehen (und am besten auch wann, bzw. wie lange es noch bis dahin dauert, siehe Artikel).
Klingt, als könnte das für deine Geschichte passen
Ganz liebe Grüße
Jacky
Paula New meint
Hallo!
Ich habe diese Uhr bis jetzt noch nie benutzt, finde es aber eine sehr gute Idee. Vorallem um Spannung zu erzeugen.
Vielen Dank!
Paula New
Jan meint
Liebe Jacky,
bin immer begeisteter – meist stiller – Leser und Befolger deiner Motivationsmails. Dieses Mal hast du voll ins Schwarze getroffen, weil meine Geschichte genau damit beginnt, mit der tickenden Uhr eines Countdowns (Special OPs Team).
Da ich mich sofort direkt angesprochen fühlte, musste ich dir diesen Kommentar jetzt einfach mal da lassen.
Danke für deine regelmäßige Motivation und diesen ausführlichen Artikel.
Liebe Grüße
Jan
Gerwine meint
In meiner letzten Geschichte geht es darum, eine Verunglückte so schnell wie möglich von einem abgelegenen Ort auf einer Insel zum einzigen Krankenhaus dort zu bringen, das auch nicht gerade nah ist. Parallel dazu befindet sich die Kranke in ihrer Ohnmacht in einer Zwischenwelt.
Dein Artikel ist toll, vielen Dank.
Herzlich Gerwine