Es war also soweit, in meiner Geschichte kam es zu einer Kampfszene. Ich selbst bin als Leser kein besonderer Fan von Kampfszenen. Genauso wie Liebesszenen passiert es hier nämlich häufig, dass ich spätestens nach zwei Absätzen keine Ahnung mehr habe, wer sich mit welchen Körperteilen wo befindet, wer sich wie geduckt, gerade angegriffen hat oder wer wo verletzt wurde. Und mal ehrlich, welcher Normalsterbliche weiß heutzutage noch, was eine Riposte ist?
Wie dem auch sei, manchmal kommst du um so eine Szene nicht herum und zugegebener Maßen sind sie das Salz in der Suppe (also nicht zu viel davon, aber auch nicht zu wenig 😉 ).
Unerwartete Konsequenzen
Ich bin also bei entsprechender Szene angelangt, die beiden Kontrahenten stehen einander gegenüber, ich habe eine ungefähre Vorstellung wie es losgeht und wie es enden soll. Also Finger gespitzt, Tastatur herangezogen, der Fantasie freien Lauf gelassen. Der Eine geht zum Angriff über und genau in diesem Augenblick gerät plötzlich alles außer Kontrolle.
Beide Kontrahenten agieren am absoluten Limit ihrer Möglichkeiten, aber wahrscheinlich haben sie ihre Gehirne komplett ausgeschaltet, denn am Ende sind nur noch zwei Häufchen Elend übrig (bei realistischer Betrachtung). Die beiden haben sich so schwer verletzt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, das vorgesehene Abenteuer zu bestehen. Noch dazu besitzen sie keine erwähnenswerten Heilfähigkeiten und das nächste Dorf ist (in ihrem Zustand) absolut unerreichbar. Und das alles wegen eines Bagatellstreits.
Tolle Wurst.
Und was jetzt?
Auf Anfang
Natürlich habe ich als Autor die Möglichkeit die Rückspultaste zu „drücken„, was ich auch tun werde. Dummerweise habe ich aber nicht das Gefühl, dass das besonders viel nützen wird. Zumindest dann nicht, wenn ich den beiden Hitzköpfen wieder das Handeln überlasse.
Choreographie
Das hat mich an einen Leserwunsch erinnert, dass ich einen Artikel über die Choreographie von Kampfszenen schreiben soll. Jetzt endlich habe ich verstanden, was genau damit gemeint ist. Es geht darum, einen Kampf nicht nur glaubwürdig erscheinen zu lassen, den Leser während dessen bei der Stange zu halten und deutlich zu zeigen was genau vor sich geht, sondern auch darum die „gewünschten Verletzungen“ zu erzeugen. Wie groß oder wie klein die auch sein mögen.
Wie gehe ich eine Kampfszene an?
Das hängt natürlich von dir selbst ab. Du kannst es – wie ich in meinem ersten Versuch – einfach drauf ankommen lassen und hoffen, dass alles so ausgeht wie es für die Geschichte notwendig ist. In meinem nächsten Versuch, möchte ich die ganze Sache aber methodischer angehen. Vielleicht hast du ja Lust, das auch einmal auszuprobieren, wer weiß, vielleicht funktioniert es bei dir ja.
Die Ausgangssituation
Das erste was wir brauchen ist eine Liste der Teilnehmer. Dabei werden nicht nur die Personen aufgelistet, die den Kampf beginnen, sondern auch diejenigen, die möglicherweise in den Kampf eingreifen könnten. Das heißt noch nicht, dass sie wirklich eingreifen werden, aber du solltest dir von vorneherein über alle deine Möglichkeiten klar werden (erst mal ohne deus ex machina).
Am Beispiel einer Kneipenschlägerei sähe das dann ungefähr so aus:
Georg (Protagonist)
Tom (Antagonist)
Nonne (eine Freundin von Georg)
1 Barmann (Statist, Gewehr unter der Theke)
2 Servierinnen (Statist)
1 Pärchen (Statist)
1 Typ an der Theke (Statist, Klappmesser in der Jackentasche)
3 Typen an einem Tisch (Statist)Mögliche „Waffen für alle“
Gewehr unter der Theke
Schwertfisch über der Theke
Flaschen und Gläser in der Bar, auf der Theke und auf den Tischen
Stühle
Eine Dartscheibe und Dartpfeile
In dieser Liste findest du die verschiedenen Personen samt ihrer Rolle, die musst du wahrscheinlich nicht dazuschreiben, weil dir bei deiner eigenen Geschichte wohl klar ist, welche Rolle die jeweiligen Charaktere einnehmen. Für die Nebenfiguren kann das aber schon recht hilfreich sein.
Einen weitereren wichtigen Fakt, den du in jedem Fall dazu schreiben solltest stellt ihre Bewaffnung dar. Bei den Meisten gibt es wahrscheinlich keine richtige Bewaffnung – wer schleppt heutzutage schon eine Waffe mit sich herum? Allerdings gibt es zwei Ausnahmen.
Zum ersten gibt es bestimmte Genres in denen es üblich ist eine Waffe bei sich zu tragen. Zum Zweiten können auch sehr ungewöhnliche Dinge als Waffe benutzt werden. Eine Flasche kann sowohl als Knüppel als auch – abgeschlagen – als Stichwaffe benutzt werden, mit einer Coladose oder einer Tasche kann man werfen und eine Batterie in der Faust verstärkt den Schlag. In dem Zusammenhang wird deutlich, dass natürlich auch die Umgebung eine Rolle spielt. Was ist in Reichweite der Charaktere? Was könnte in ihre Reichweite gelangen? Das schreibst du am besten als mögliche Waffen entweder neben den jeweiligen Charakter oder – wenn es sich nur irgendwo im Raum befindet – als separate Liste unten drunter.
Sieh dir die anwesenden Charaktere und ihr (mögliches) Inventar gut an, bevor es in den Kampf geht, denn eine Waffe – egal in welcher Form – verändert das Gleichgewicht in so einer Situation gravierend.
Unter Umständen macht es Sinn auch noch die Stimmungslage und Motivation der anwesenden Personen aufzuschreiben, eine schüchterne Sekretärin in Hochstimmung wird weniger wahrscheinlich, und vor allem anders, in einen Kampf eingreifen, als ein stockbetrunkener Typ mit Aggressionen, der er gerade gefeuert wurde und der Meinung ist, dass die Kerle ihn sowieso schon die ganze Zeit so komisch angucken.
Georg (Protagonist, traurig)
Tom (Antagonist, aggressiv)
Nonne (eine Freundin von Georg, ängstlich)
1 Barmann (Statist, Gewehr unter der Theke, gut gelaunt, Bar muss unversehrt bleiben)
2 Servierinnen (Statist, eine hat gute Laune, weil sie schwanger ist, eine hat miese Laune, weil sie heute verlassen wurde)
1 Pärchen (Statist, beide romantischer Dinge und auf sich fixiert)
1 Typ an der Theke (Statist, Klappmesser in der Jackentasche, betrunken und aggressiv)
3 Typen an einem Tisch (Statist, guter Dinge, stockbesoffen, unfähig sich zu bewegen)
Was jetzt noch zur Ausgangssituation fehlt ist die Position der Anwesenden, wo befinden sie sich? Am besten eignet sich dazu eine kleine Skizze. Nimm dir einfach ein Blatt Papier und einen Stift und leg los.
Der Verlauf
Der eigentliche Kampf beginnt, wenn es kein Zurück mehr gibt, wenn der erste Schuss fällt oder der erste Schlag ausgeteilt wird. Und das ist auch genau der Punkt wo alles außer Kontrolle gerät (im echten Leben zumindest). Egal ob die Szene in einer Bar stattfindet, oder ob nur zwei Personen daran beteiligt sind, ab diesem Moment sind alle in Aktion. Jeder bewegt sich und die Anzahl der Möglichkeiten steigt ins Unendliche. Wenn es in einer normalen Entscheidungssituation zwei oder drei unterschiedliche Wege, die der Charakter beschreiten kann, dann ist es relativ einfach eine Entscheidung zu treffen, einen Weg zu wählen. Aber wenn sich so viele Körper(teile) in Bewegung und in Interaktion befinden, dann verwandelt sich die Anzahl der Möglichkeiten in eine graue, undefinierbare Masse. Das ist im selben Augenblick attraktive Vielfalt, wie überwältigendes Chaos.
Das Ergebnis
Natürlich kannst du die Dinge einfach fließen lassen, das hat seinen ganz eigenen Reiz. Du lässt die Charaktere einfach entsprechend ihrer Möglichkeiten agieren und siehst, was dabei herauskommt. Weil du selbst nicht weißt, was das Ergebnis sein wird ist das spannend und macht Spaß. Allerdings habe ich auf diese Weise auch schon einige wichtige Charaktere umgebracht. Was als harmlose Kneipenschlägerei begann endete mit zahllosen, lebensgefährlichen Schnitt- und Schussverletzungen sowie Verbrennungen dritten Grades. Mit anderen Worten, alle Anwesenden waren so gut wie hinüber und keine Rettung in Sicht. So konnte ich die Szene natürlich nicht stehen lassen, nicht, wenn ich vor hatte, die Geschichte noch weiter zu schreiben. Also habe ich zurück gespult.
Ziel Anvisieren
Um also all dieser Möglichkeiten Herr zu werden, hilft es mir, wenn ich mir zuerst überlege, wie ich gerne hätte, dass der Kampf ausgeht. Ich sehe mir die Anwesenden an und liste auf, welche Verletzungen sie maximal davon tragen dürfen. Eine schriftliche Liste ist nicht unbedingt notwendig, aber je nach Zahl der Beteiligten durchaus sinnvoll.
Das gibt mir auch ein Gefühl dafür, ob meine Erwartungen realistisch sind. Wenn ich einen echten Krieg plane, aber eigentlich alle Beteiligten nur ein paar blaue Flecken davontragen sollen, dann müssen sie entweder mit Gummiknüppeln kämpfen oder ich sollte mir das mit dem Krieg noch einmal überlegen.
Außerdem habe ich so ein Ziel vor Augen. Während des ganzen Kampfes passe ich unterbewusst auf: „Moment! Klaus darf aber nur leicht verletzt werden“. Jetzt könnte man Sorge haben, ob das so noch realistisch werden kann. Ja, kann es, ich brauche nur einen triftigen Grund, warum Klaus nur leicht verletzt wird.
Wie wir ja eben festgestellt haben, gibt es in jeder Sekunde fast unendlich viele Möglichkeiten was passieren kann, Entscheidungen die gefällt werden können: Schlage ich von links zu oder von rechts, ducke ich mich oder springe ich in den Ring, versuche ich meinem Gegner die Waffe zu entreißen oder werfe ich mich auf den Boden, gehe ich in Deckung? Fast jede mögliche Handlung lässt sich auf die eine oder andere Weise rechtfertigen und wenn der eine Charakter nur genau eine Sache tun kann, dann muss eben der andere Charakter das mit seiner Reaktion eben so ausgleichen, dass das Ergebnis wieder stimmt. Du bist Gott und wenn es zweidutzend gleichberechtigte Möglichkeiten gibt, wie ein Charakter handeln könnte, dann nimmst du eben die, die dir am besten in den Kram passt, und die dich deinem Ziel näher bringt.
Bleib realistisch
Das soll dich keineswegs dazu verführen unrealistisch zu werden. Wenn jemand einen Stein hart auf den Hinterkopf geschlagen bekommt, stehen die Chancen gut, dass er stirbt aber auf jeden Fall wird er schwer verletzt. Wenn ein Charakter jemanden oder etwas bis zum Tod schützen würde, dann muss er das auch bis zum Ende durchhalten. Also achte akribisch darauf, dass immer deine Begründungen stimmen – denn man kann so ziemlich alles tun solange man es gut begründet.
An den Knöpfen drehen
Wenn die ganze Sache einfach nicht so ausgeht, wie gewünscht oder irgendetwas nicht zu passen scheint, dann fang an, an den Knöpfen zu drehen. Die Nonne kommt dir immer in den Weg? Finde einen guten Grund, warum sie nicht anwesend ist. Zu viel oder zu wenig möglicher Kollateralschaden? Vielleicht kannst du den Zeitpunkt des Kampfes verändern, so dass die Kneipe besser oder schlechter besucht ist, vielleicht kannst du auch ihren Standort ändern, versetz sie an den Hafen, statt ins Stadtzentrum. Irgendwie verirrt sich immer der Schwertfisch in die Hände deines Protagonisten, ohne, dass du das wirklich willst? Zum Glück hast du die volle Macht über die Dekoration 👿
Probier es aus
Am meisten hat es mir geholfen mit lauter bunten Stiften (für jede Person eine eigene Farbe) auf einem Blatt Papier herumzukritzeln, die einzelnen Schritte mit Nummern zu versehen und mir den Fortgang zu überlegen. Immer wieder von vorne. Immer wieder neue Kombinationen. Immer wieder neue Möglichkeiten. Bis ich schließlich mit einer Kombination das erstrebte Ziel erreiche und mit dem Kampf selbst zufrieden bin.
Diskussion
Hast du schon mal eine Kampfszene geschrieben? Wie stellst du das an? Planst du vorher oder legst du einfach los? Gehen deine Kampfszenen aus wie gewünscht? Was machst du, wenn das nicht der Fall ist? Was würdest du jemandem raten, der noch nie eine Kampfszene geschrieben hat?