Ich hatte bereits einen Artikel geschrieben, wo es darum ging, Plotlöcher zu stopfen.
Dabei hatten wir „schwarze Löcher„, also solche, die explizit Einfluss auf große Teile der restlichen Geschichte haben, extra außen vor gelassen.
Genau mit diesen „schwarzen Löchern“ und damit, wie du sie beseitigen kannst, möchte ich mich heute beschäftigen.
Begrenzte Löcher
In meinem aktuellen Projekt habe ich zwei solcher Löcher gefunden. Beim ersten Loch habe ich vergessen, einen Nebencharakter „auszuführen„. Das heißt, er taucht auf, interagiert und verschwindet, allerdings höre ich einfach auf von ihm zu erzählen. Es gibt keine Verabschiedung und keine Todesszene, er ist einfach weg und niemand bemerkt es.
Allerdings hat die Art seines Verschwindens natürlich Auswirkung darauf, wie die anderen Charaktere anschließend über ihn denken. Er hatte ziemlich heftigen Kontakt mit dem Protagonisten, der natürlich anders über einen toten Freund denkt, als über einen Lebenden.
Dieses Problem ist begrenzt, weil der Tod des Nebencharakters oder respektive sein Leben keinen effektiven Einfluss auf die Geschichte hat. Wichtig ist nur, dass er nachher keinen Kontakt mehr zu den anderen Charakteren hat/haben soll.
Deshalb muss ich lediglich die Abschieds- oder Todesszene schreiben und anschließend nach dem Namen dieses Charakters suchen. An allen Stellen, wo sein Name nach der Abschieds-Szene erwähnt wird, muss ich kontrollieren, ob die dort beschriebenen Gedanken/Aktionen mit der „Verschwindeszene“ harmonieren.
Ein bisschen Fleißarbeit, aber recht einfach zu bewältigen.
Endlose Löcher
Mein zweites Problem ist wesentlich umfassender und damit ein wirkliches „schwarzes Loch„. Es hat das Potential die gesamte Geschichte aufzusaugen. Es ist der Antagonist – ich habe ihn vergessen 😳
Ich habe ihn am Anfang sehr sorgfältig erschaffen, er kommt auch vor, spielt sich entsprechend auf und dann – fällt er in ein Koma. Zumindest könnte es einem aufmerksamen Leser so vorkommen, denn er taucht einfach nicht mehr auf, bis er schließlich ganz am Ende noch einmal (viel zu wenig) Unruhe stiftet.
Natürlich kann/könnte es sein, dass seine Aktionen einfach keinen (spürbaren) Einfluss auf die anderen Charaktere haben. Aber er wäre einfach kein guter Antagonist, wenn er keinen Einfluss auf die Geschichte hat. Außerdem müsste er schon ziemlich dämlich sein, wenn er sich einfach auf dem Rücken legt, die Beine in die Luft streckt und nie wieder über seine eigentlichen Ziele nachdenkt.
Also muss ich ganz von vorne anfangen, bei der Szene, wo er zum letzten Mal aktiv auftaucht und mir überlegen, was er wirklich tun würde, um weiter im Spiel zu bleiben. Einiges davon hatte ich sogar schon geplottet, keine Ahnung, wie es mir durch die Finger schlüpfen konnte. Anderes gehört zu den Stellen, die ich nicht geplottet habe, weshalb ich mich selber gerne noch einmal an mein Memo erinnern möchte: Alles komplett durchplotten! ^^
Wo anfangen?
Am besten an der ersten Stelle, wo das Loch sich zum ersten Mal bemerkbar macht, egal wie unscheinbar diese Stelle auch erscheinen mag und dann versuchen zu plotten, was passiert und wie sich die anderen Teile der Geschichte verändern müssen.
Hierbei ist zu beachten, dass du gar nicht an alle Punkte denken kannst. Es sind besonders die Kleinigkeiten, die dir hier durchschlüpfen und die deinem Leser nachher aufstoßen, aber das ist in Ordnung, das ist okay. Auf die Suche nach ihnen werden wir uns beim ersten vollständigen Lesen begeben. Jetzt geht es zunächst nur um die grobe Struktur.
Zeitleisten im yWriter
Ich habe mich mal wieder dumm und dusslig gesucht, bei dem Versuch ein vernünftiges Programm zu finden, das Zeitleisten darstellen kann. Nach einem kurzen Zwischenstopp beim Storybook, von dem ich wieder abgekommen bin, weil es keine Möglichkeit zum Import gibt und ich deshalb über 400 Szenen hätte per Hand eingeben müssen, plus Charaktere, Orte etc., bin ich wieder beim yWriter gelandet.
Wie ich bereits erwähnt und gezeigt habe, werden hier in der Storyboard-Ansicht die einzelnen Szenen als kleine Kästchen auf den Sichtweisensträngen dargestellt.
Das heißt, jeder Charakter hat seine eigene Farbe und ich kann die Kästchen per Klicken-und-Ziehen verschieben, sowohl von rechts nach links (ihr Vorkommen innerhalb der Geschichte) als auch von oben nach unten (ihre Sichtweise verändern).
Wenn ich jetzt ausprobieren möchte, wie sich der Verlauf ändern könnte, ohne gleich kapitelweise Wörter zu Papier zu bringen, dann erstelle ich eine neue Szene, schreibe in ihren Titel alles rein, was passieren soll (möglichst kurz und prägnant) und markiere sie anschließend als „unused“ (=unbenutzt). Dadurch wird die Szene im Storyboard ein wenig ausgegraut, kommt mir beim Drucken und Exportieren des Projekts aber nicht in den Weg. Denn ich kann beim Drucken/Exportieren auswählen: „Unbenutzte Szenen nicht drucken“ wodurch meine Probeleser niemals erfahren werden, dass diese Hilfsszenen überhaupt existieren.
Ich kann sie trotzdem, genau wie alle anderen Szenen, weiterhin verschieben und es gibt mir einen extrem guten Überblick, über alles was passiert und wann es passiert. Selbst dann, wenn ich mich nachher entscheide, dass der Antagonist (oder wer auch immer) diesen Schritt zwar ausführen soll, ich ihn aber nicht ausformuliere, weil der Leser (zunächst) nichts davon wissen soll.
Andere Hilfsmittel
Natürlich kannst du auch Karteikarten verwenden, auf die du stichpunktartig die Szenen oder Kapitel notierst. Du kannst auch Mindmaps benutzen, Notizbücher, eine einfache Textdatei, es ganz ohne Planung versuchen oder was immer dir am besten hilft um weiterzukommen.
Einflechten
Sobald die grobe Struktur steht, ich also weiß, was ich wo einfügen muss und mit dem Ergebnis auch zufrieden bin, kann ich anfangen, die entsprechenden Stellen auszuformulieren.
Wichtig ist, die Überprüfung von Anschluss-Szenen, also jeweils das Ende der Szene vorher und den Anfang der Szene nachher kurz anzulesen und zu prüfen, ob hier noch alles stimmig ist.
Lücken finden
Wenn du nachträglich komplette Handlungen einfügst, dann such dir am besten Stellen aus, wo es „Lücken“ gibt.
Du wirst niemals den kompletten Tagesablauf deines Helden beschreiben und bist nicht 24 Stunden am Stück dabei. Finde also Stellen, wo zwischen zwei Sätzen durchaus einiges an Zeit vergangen sein könnte. Beispiel:
Andrea hockte in der Ecke und heulte sich die Augen aus. [Zeitsprung] Als sie sich wieder gefangen hatte, stand sie auf und wusch sich das Gesicht.
Zwischen diesen beiden Sätzen vergeht eine unbestimmte Menge an Zeit. Andrea kann genau so gut nur wenige Sekunden oder Minuten brauchen, um sich zusammenzureißen, oder sogar stundenlang vor sich hinwimmern. Das heißt, hier hast du eine perfekte Gelegenheit um was-auch-immer einzubinden.
Gleichzeitigkeit
Viele Szenen enden an solchen Zeitsprüngen, insbesondere Kapitel haben gerne mal einen Sprung am Anfang oder auch am Ende. Gelegentlich ist es aber auch notwendig, dass deine neue Idee/Verbesserung, ganz genau gleichzeitig mit etwas passiert, was du bereits aufgeschrieben hast.
Überleg dir, wo es am besten passt, was am meisten Spannung erzeugt und was möglichst viel Klarheit bringt. Du kannst das neue Ereignis vorweg stellen, nachfügen, oder immer abwechselnd berichten.
Dazu zwei Beispielszenen und ihre „Verflechtung„.
Beispiel-Szene1
Diese Szene soll bereits existiert haben.
Bella zog die Augenbraue hoch. Sie hob ihre Hand und legte sie auf die Klinke. Das Metall war warm und begann zu vibrieren. Sie drückte die Klinke.
Beispiel-Szene2
Diese Szene hast du in deiner Überarbeitung neu hinzugefügt und ihr Inhalt soll genau zur gleichen Zeit passieren, wie die Beispiel-Szene1.
Sven schloss den Heizapparat mit einem Klicken an die Türklinke an. Er drehte ihn auf volle Leistung. Dann hob er den Baseballschläger und wartete.
Nachstellen
Je nach Inhalt ist es am Einfachsten, die neue Szene einfach nachzustellen. Besonders dann, wenn etwas enthüllt wird, das der schon bestehenden Szene die Spannung nehmen könnte.
Du kannst also die neue Szene einfach nachstellen. Das würde sich dann so anhören:
Bella zog die Augenbraue hoch. Sie hob ihre Hand und legte sie auf die Klinke. Das Metall war warm und begann zu vibrieren. Sie drückte die Klinke.
***
Sven schloss den Heizapparat mit einem Klicken an die Türklinke an. Er drehte ihn auf volle Leistung. Dann hob er den Baseballschläger und wartete.
Voranstellen
Im aktuellen Fall würde es wahrscheinlich mehr Sinn machen, die neue Szene voranzustellen, um mehr Spannung zu erzeugen, weil der Leser gegenüber dem Protagonisten einen Wissensvorsprung erhält. Du kannst die neue Szene also auch voranstellen:
Sven schloss den Heizapparat mit einem Klicken an die Türklinke an. Er drehte ihn auf volle Leistung. Dann hob er den Baseballschläger und wartete.
***
Bella zog die Augenbraue hoch. Sie hob ihre Hand und legte sie auf die Klinke. Das Metall war warm und begann zu vibrieren. Sie drückte die Klinke.
Integrieren
Die dritte Variante ist, die Szenen in sich zu verflechten. Das sollte aber nicht überstrapaziert werden, um den Leser nicht unnötig zu verwirren. Achte darauf, dass immer klar ist, aus wessen Sicht gerade geschrieben wird.
Bella zog die Augenbraue hoch.
Sven schloss den Heizapparat mit einem Klicken an die Türklinke an.
Sie hob ihre Hand und legte sie auf die Klinke.
Er drehte ihn auf volle Leistung.
Das Metall war warm und begann unter Bellas Fingern zu vibrieren.
Sven hob den Baseballschläger und wartete.
Sie drückte die Klinke.
Durch die verschiedenen Geschlechter kommt man hier leicht um die ständige Namenswiederholung herum, ohne dass Klarheit verloren geht.
Entscheidung
Entscheide selbst, welche Variante für deine aktuelle Szene am besten geeignet ist. Was ist am spannendsten? Was ist am deutlichsten? Was gefällt dir am besten? Es gibt darauf keine eindeutige Antwort und höchstwahrscheinlich bist du auf deine Probeleser angewiesen, die dir hoffentlich mitteilen, wenn sie an einer bestimmten Stelle nicht mitgekommen sind.
Folgeproblemstellen
Immer wenn du neue Handlungen etc. einfügst, wird es passieren, dass andere Stellen der Geschichte plötzlich nicht mehr stimmen. Sei es, weil so gravierende Dinge passieren, wie, dass dein Protagonist einen Arm verliert, oder dass sich einfach nur ein Verhältnis ändert. Schon ein kleiner Streit kann große Auswirkung auf die gegenseitige Behandlung beim nächsten Treffen haben.
Du kannst dir wieder eine Liste machen, oder direkt ändern, was dir in den Sinn kommt. Außerdem solltest du den Plot/Handlungsverlauf deiner Geschichte einmal von vorne nach hinten durchgehen und im Geist überprüfen, ob du so noch irgendwelche Unstimmigkeiten aufspüren kannst.
Tja und dann, dann kommt es, das erste Mal, dass du deine Geschichte von Anfang bis Ende liest. Aber dazu dann mehr, beim nächsten Mal 😉
Diskussion
Wie gehst du mit schwarzen Löchern um? Hattest du überhaupt schon mal welche? Wirfst du die ganze Geschichte in den Müll, fängst du von vorne an oder versuchst du zu flicken? Welche Software benutzt du um Zeitleisten zu erstellen?