Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund hält sich wacker die Vorstellung, dass „richtige“ Schriftsteller (oder überhaupt Künstler) einfach so vom Himmel fallen und mit so sagenhaftem Talent gesegnet sind, dass sie ihre Kunst einfach in die Welt hinaus „blasen“, alle Welt ihnen die Füße küsst, sie Millionen von Euros einsacken und sie dann „fertig“ sind.
Diese Vorstellung ist auf so vielen Ebenen falsch, dass ich mit diesem Mythos ein für alle Mal aufräumen möchte.
Damit das Ganze keine dröge Aneinanderreihung von Fakten wird, möchte ich zuerst eine kleine Geschichte erzählen.
Die Sage des Debüt-Romans von Willi Wunderlich
[1] Willi Wunderlich ist mit sagenhaftem Talent gesegnet. [2] Eines Tages hat er eine brillante Idee und möchte daraus unbedingt einen Roman machen. [3] Er setzt sich hin, die Wörter sprudeln nur so aus ihm heraus und fließen in sein Manuskript. [4] Innerhalb weniger Wochen oder Monate hat er ganz einfach so seine Geschichte beendet. [5] Er druckt sie aus, ohne sie ein zweites Mal anzusehen, und schickt sie an einen Verlag.[6] Direkt seine erste Geschichte wird angenommen und sofort veröffentlicht. [7] Schon in den nächsten Tagen werden so viele Bücher verkauft, dass er das Geld gar nicht so schnell zählen kann, wie es bei ihm eintrifft.[8] Willi Wunderlich ist reich. [9] Wenn er wollte, bräuchte er nie wieder auch nur ein einziges Wort zu schreiben. [10] Er kann sich zurücklehnen und den ganzen Tag damit verbringen, die Möwen über seinem neuen Strandhaus zu zählen. [11] Falls er doch wieder Lust bekommt, schreibt er ein oder zwei Stunden am Tag, aber nötig hat er das natürlich nicht.[12] Außerdem weiß kein Mensch auf der Welt von seiner wahren Identität. [13] Kontakt zu seinen Lesern hat er nicht nötig.
Willi Wunderlichs einziges Problem? Er existiert nicht. Trotzdem wohnt er schon seit Ewigkeiten in den Köpfen von Schreibanfängern und genau deshalb möchte ich diese Geschichte einmal Satz für Satz auseinandernehmen und mir mit dir zusammen anschauen, wie es in Wirklichkeit aussieht. Ich empfehle dazu eine Tasse Kaffee, Tee oder ein anderes (Heiß-)Getränk deiner Wahl.
Talent
Zu Satz 1:
Willi Wunderlich ist mit sagenhaftem Talent gesegnet.
Was ist Talent überhaupt?
Begabung, die jemanden zu ungewöhnlichen bzw. überdurchschnittlichen Leistungen auf einem bestimmten, besonders auf künstlerischem Gebiet befähigt [Duden.de]
Das bedeutet, wir lassen Petra und Klaus (mit gleichem Trainingslevel und Motivation) gegeneinander antreten (egal ob Backen, Schreiben, Schlittschuhlaufen oder Ping-Pong-Spielen) und wenn Petra mehr Talent hat, dann wird sie gewinnen.
Aber genau in diesem kurzen Beispiel steht auch schon der ultimative Knackpunkt, der jede Diskussion über Talent im Keim erstickt:
mit gleichem Trainingslevel und Motivation
Trainingslevel: Petra hat also mehr Talent, aber gestern erst angefangen, was-auch-immer zu lernen (Marathon laufen? Geschichten schreiben? Basketball spielen? Egal!). Klaus hat so gut wie gar kein Talent, aber er ist schon seit über fünf Jahren dabei und übt täglich mehrere Stunden. Wer gewinnt jetzt? Wahrscheinlich Klaus.
Motivation: Petra hat mehr Talent und genauso viel Training wie Klaus, aber was-auch-immer ist für sie nur ein Wettbewerb unter vielen. Klaus dagegen weiß, wenn er gewinnt, bekommt er genug Geld, um seiner krebskranken Tochter das Leben zu retten. Ich könnte wetten, er lässt Petra im Regen stehen.
Um auf unsere Geschichte mit Willi Wunderlich zurückzukommen: Es ist völlig wurscht, wie viel Talent er hat. In erster Linie kommt es darauf an, wie hart er trainiert und wie viel er bereit ist zu investieren.
Talent * Motivation * Training = Erfolg
Beachte die Multiplikationszeichen: Ist eins dieser Dinge Null, dann bleibt der langfristige Erfolg aus. Immer.
Weiter in Willis wunderlicher Geschichte.
Ideen
Zu Satz 2:
Eines Tages hat [Willi] eine brillante Idee und möchte daraus unbedingt einen Roman machen.
Hierzu gibt es viel zu sagen. Zum einen: Kein Schriftsteller hat „eine“ Idee. Ein Schriftsteller hat meistens Dutzende von Ideen und viel zu wenig Zeit sie alle aufzuschreiben.
Wahrscheinlich findet er jede Idee davon am Anfang ganz besonders genial, aber spätestens beim Aufschreiben kommen ihm immer wieder Zweifel, ob das überhaupt irgendjemanden da draußen interessiert.
Aber das macht nichts, denn geniale Ideen gibt es überhaupt nicht. Jede Idee, die gerade durch deinen Kopf schwirrt, hat irgendwer irgendwann irgendwo schon einmal vor dir gehabt. Aber (!) die fertige Umsetzung davon bzw. die Verbindung mit anderen Ideen kann trotzdem jedes Mal wieder genial werden.
Deshalb denke ich übrigens auch nicht, dass man Ideen wirklich klauen kann. Sieh dir nur an, wie oft die Grundidee von Romeo und Julia (zwei junge Menschen verlieben sich, trotz aller Hindernisse) erfolgreich neu inszeniert wurde.
Bei der genialen Umsetzung liegt die Betonung übrigens explizit auf „fertige“ Umsetzung. Denn völlig egal, wie toll deine Idee ist, am Ende kann die Geschichte nur so gut sein wie ihre fertige Umsetzung. Schließlich kann sie nur gelesen werden, wenn du sie auch tatsächlich vollendest und veröffentlichst. Logisch, oder? 😛
Weiter mit Willi Wunderlich.
Schreiben
Zu Satz 3:
[Willi] setzt sich hin, die Wörter sprudeln nur so aus ihm heraus und fließen in sein Manuskript.
Ähm … jein. Ich wette, wenn du schon einmal versucht hast, einen Roman zu schreiben, kennst du das Gefühl, wie deine Finger über die Tastatur fliegen und die ersten Seiten regelrecht aus dir heraussprudeln. Aber dann fängt es an, haarig zu werden.
Das liegt wahrscheinlich daran, dass es jetzt kompliziert wird. Schließlich müssen alle kleinen und großen Dinge zueinander passen. Fakten müssen recherchiert, Handlungsstränge verwoben, Charaktere glaubwürdig und tiefgründig aufs Papier gebracht werden.
Außerdem entstehen Geschichten (fast) nie als sauberes, chronologisches Konstrukt, sondern sie wachsen organisch. Ja, es gibt Menschen, die vor dem ersten Entwurf die Grenzen abstecken, und ja, es gibt welche, die den ersten Entwurf von vorne nach hinten schreiben. Aber dann sind sie nicht fertig – das ist völlig unmöglich.
Am Ende musst du immer wieder zurückgehen, vorne Dinge ändern und hinten Dinge ändern, die Reihenfolge verschieben … was auch immer du im „ersten Entwurf“* hinschreibst, es wird sich noch massiv verändern. Das ist normal und das ist gut so.
Wenn dir also jemand erzählt, dass seine Fantasien nur so aufs Papier fließen, dann befindet er sich gerade an einer „guten Stelle“ oder er malt mit Fingerfarben.
*Ich mag die Bezeichnung nicht mehr. Für mich gibt es keinen „ersten Entwurf“. Wenn mein Manuskript so weit ist, dass man es von vorne bis hinten lesen kann und die Geschichte einen Sinn ergibt, steckt schon so viel Überarbeitung darin, dass ich es ganz sicher keinen „ersten Entwurf“ mehr nennen möchte.
Allerdings habe ich auch noch keinen Begriff gefunden, der mir besser gefällt, also bleiben wir vorerst dabei.
Zurück zu Willi mit seiner wunderlich „tollen Idee“.
Fertig werden:
Zu Satz 4:
Innerhalb weniger Wochen oder Monate hat [Willi] ganz einfach so seine Geschichte beendet.
Den ersten Roman zu schreiben, dauert (gewöhnlich) länger als wenige Wochen oder Monate.
Ja, ich habe 2016 mit 12in12 bewiesen, dass es möglich ist, in kurzer Zeit tolle Geschichten zu schreiben, und wenn du beim NaNoWriMo mitmachst, ist das sogar dein explizites Ziel.
Aber (!) der erste Roman beginnt normalerweise nicht „heute“ und ist vier Wochen später fertig. Denn bevor das passieren kann, muss ja erst einmal der Entschluss gefasst werden, dass überhaupt ein ganzer Roman aus einer Idee werden soll. Und wenn das passiert ist, dann ist der angehende Autor gut beraten, wenn er erst mal ein bisschen Recherche betreibt, sich über das Geschichtenschreiben im Großen und Ganzen schlau macht, Bücher dazu liest und vielleicht sogar einen Kurs besucht.
Die Charakterentwicklung, der grobe Plan, der Plot und das eigentliche Schreiben sollten dann in einem Rutsch und wesentlich schneller geschehen.
Doch dann fängt die richtige Arbeit erst an.
Selbstlektorat
Zu Satz 5:
[Willi] druckt [die Geschichte] aus, ohne sie ein zweites Mal anzusehen, und schickt sie an einen Verlag.
Ehrlicherweise kann das bei Erstautoren tatsächlich vorkommen. Es ist ja auch sehr verlockend. Du bist endlich durch die Geschichte durch und jetzt soll sie auch bitte endlich gelesen werden, damit alle Welt dein Genie erkennt. Dabei gibt es jedoch ein Problem: Nur weil es „jetzt da steht“, heißt das noch lange nicht, dass das auch jemand (außer dir) lesen und nachvollziehen kann.
Deshalb ist „einfach sofort in die Welt hinausschicken“ nicht die beste Vorgehensweise. Nicht wenn du von einem Verlag veröffentlicht werden möchtest, und erst recht nicht, wenn du dich für das Selfpublishing entschieden hast.
Denn ein „erster Entwurf“ ist noch lange keine fertige Geschichte.
Auf den ersten Blick mag es eine gute Idee scheinen, dass Egon und Elvira am Ende der Geschichte in einem Segelboot in den Sonnenuntergang fahren … Aber wie hat Elvira mal eben so ihre Aquaphobie überwunden? Also musst du entweder ihre Angst, die am Anfang der Geschichte eine Rolle spielte, rausnehmen oder die romantische Segelbootszene am Ende ersetzen oder eine passende Möglichkeit finden, wie sie trotzdem funktioniert.
Auf jeden Fall wirst du haufenweise solche Plotlöcher finden und jede Menge Unstimmigkeiten ausbügeln müssen, bevor aus deinem Manuskript etwas wird, das ein Leser von Anfang bis Ende lesen kann, ohne Knoten im Gehirn zu bekommen.
Wenn du damit durch bist, fehlt noch mindestens eine Rechtschreibprüfung, bevor du deine Geschichte an Probeleser geben kannst, und erst wenn deren Feedback eingebaut ist, solltest du über den nächsten Schritt nachdenken.
Ob Willi Wunderlich den wohl überhaupt beachtet?
Lektorat
Zu Satz 6:
Direkt seine [Willis] erste Geschichte wird angenommen und sofort veröffentlicht.
Öhm … Nein!
Okay, zugegeben, es gibt sie: die Ausnahmen/die Lottogewinner. Aber (!) ob eine Geschichte genommen wird, hängt nicht in erster Linie vom Talent (Training/Motivation) ab, sondern von der aktuellen Marktlage. Sagen wir, Katzenkrimis (ja, gibt es) haben sich im letzten Jahr bombig verkauft, aber gerade deshalb gibt es in diesem Jahr eine Marktüberflutung. Dann wird dir – selbst wenn du den besten Katzenkrimi seit Menschengedenken geschrieben hast – wohl kein Verlag einen Vertrag anbieten.
Außerdem geht das Gerücht um, dass auch Lektoren nur Menschen sind. Das heißt, wenn die einen schlechten Tag haben, können ihnen unter Umständen echte Juwelen durch die Lappen gehen.
Und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass deine Geschichte „direkt genommen wird“, ist noch viel zu tun. Du bekommst nämlich einen Lektor zugeteilt (als Selbstverleger musst du selbst für eine Korrektur sorgen). Denn nur weil du weißt, was du sagen wolltest, heißt das nicht, dass auch genau das beim Leser ankommt.
Deshalb wird deine Geschichte jetzt auseinandergenommen. Zuerst wird geschaut, ob der Plot spannend genug ist, ob die Handlungen logisch sind, ob der Inhalt zum Zielpublikum passt, ob die Fakten stimmen, und irgendwann werden natürlich auch die Formulierungen geprüft.
Wenn das alles durch ist, sollte dringend noch ein Korrektorat hinten angehängt werden, um sicherzugehen, dass sich keine Tippfehler durchgeschmuggelt oder sogar (neu) eingeschlichen haben.
Außerdem wird noch ein Cover entworfen, ein Klappentext geschrieben und die Werbetrommel gerührt … Aber ich greife mir selbst voraus. Kommen wir erst zurück zu Willis wunderlichen Reise.
Veröffentlichung
Zu Satz 7:
Schon in den nächsten Tagen werden so viele Bücher verkauft, dass [Willi] das Geld gar nicht so schnell zählen kann, wie es bei ihm eintrifft.
Den hier muss ich sogar noch ein bisschen weiter auseinandernehmen:
a) Schon in den nächsten Tagen werden Bücher von ihm verkauft … (im Sinne von: Menschen können sein Buch in den Händen halten und lesen)
Nein. Wenn du dein Anschreiben an einen Verlag schickst, kann es schon mal ein halbes Jahr (oder länger) dauern, bis du überhaupt eine Antwort erhältst. Und ab dem Moment, in dem klar ist, dass dein Buch veröffentlicht wird (falls es veröffentlicht wird), kann es noch einmal 1-2 Jahre dauern, bevor es dein Buch irgendwo zu kaufen gibt. Denn jeder Verlag hat ein Verlagsprogramm und das steht für’s nächste Jahr gewöhnlich schon fest. (Nur weil es vom Verlag veröffentlicht wird, heißt das übrigens noch lange nicht, dass es tatsächlich irgendwo in einer Buchhandlung auf einem Tisch steht).
Bist du Selbstverleger, geht das Veröffentlichen natürlich wesentlich schneller. Aber mal so eben im Handumdrehen passiert das (vor allem beim ersten Mal) ganz sicher auch nicht.
b) Schon in den nächsten Tagen werden Bücher von ihm verkauft … (im Sinne von: Irgendjemand weiß, dass man das Buch (bald) kaufen kann)
Nein. Bist du ein Anfänger, hat niemand auch nur die geringste Ahnung, dass es dich gibt. Das bedeutet, damit überhaupt irgendjemand weiß, dass er dein Buch kaufen kann, ist erst einmal jede Menge Marketing notwendig. Ohne das passiert gar nichts.
Du musst dir eine Fanbase aufbauen und hast dann eine Chance, dass bei der zweiten, dritten oder vierten Veröffentlichung tatsächlich schon jemand auf dein neuestes Werk wartet. (FYI: Dabei beginnst du für jedes neue Genre wieder bei nahezu Null.)
Zurück zu den vielen Büchern, die Willi Wunderlich verkauft …
c) … so viele Bücher, dass er das Geld gar nicht so schnell zählen kann … (im Sinne von: Es werden viele Bücher verkauft).
Kann er das wirklich schaffen? Das kommt ganz darauf an … und zwar auf sehr viele Faktoren.
- Wie groß war das Marketing-Budget?
- Wie viele Kanäle wurden bedient?
- Wie viele Menschen wurden erreicht?
- In welchem Genre hast du geschrieben (wie groß war das Zielpublikum)?
- Wie speziell war das Thema (im Bezug auf das Genre)?
- Wie ist das Cover angekommen?
- Wie gut war der Klappentext?
- Wie interessant war der Titel?
- Wie bekannt ist dein Name?
Insbesondere der letzte Punkt ist wichtig. Stell dir vor, Ulla Unbekannt veröffentlicht ein neues Buch und wortwörtlich die ganze Welt wird umgehend davon informiert. Was denkst du, wie viele Verkäufe das generieren würde? Ich schätze mal auf, hmmm, nicht sehr viele – und zwar unabhängig vom Genre, in dem sie geschrieben hat. Einfach weil niemand sie kennt.
Jetzt stell dir das gleiche Szenario mit Ed Sheeran vor. Jeder einzelne Mensch wird über sein neuestes Buch informiert. Denkst du, die Verkaufszahlen sähen anders aus als bei Ulla Unbekannt?
Ja, ich auch. Denn schließlich … ist es Ed Sheeran! Oder Stephen King – bei berühmten Menschen ist allein der Name selbst bereits Marketing 😉
Also, nur weil eine Menge Leute von deinem Buch wissen, müssen sie es noch lange nicht haben wollen, selbst wenn du weißt, dass es perfekt zu ihrem Lesegeschmack passen würde.
Und damit kommen wir zur letzten Implikation dieses Satzes über Willi Wunderlichs Geschichte.
d) … so viele Bücher verkauft, dass er das Geld gar nicht so schnell zählen kann … (im Sinne von: Er verdient überhaupt Geld damit).
Betrachten wir das zusammen mit Satz 8 gleich genauer:
Vergütung
Zu Satz 8:
Willi Wunderlich ist reich.
Wenn du bei einem Verlag bist, bekommst du normalerweise einen Vorschuss im unteren fünfstelligen (oder sogar nur vierstelligen) Bereich. Ausgezahlt wird das Ganze in 2-3 Raten, dann ist erst mal Sense. Und das bedeutet, du musst hoffen, dass dein Buch es überhaupt schafft, mehr als diesen Vorschuss wieder reinzuholen, damit du irgendwann „vielleicht mehr“ bekommst (ca. 1€ pro weiterem Buch – wenn überhaupt). Oft ist das bei Erstlingswerken nicht der Fall.
Als Selbstverleger musst du „abwarten, was reinkommt“. Da dich am Anfang noch kaum jemand kennt, wirst du höchstwahrscheinlich nicht am Morgen nach der Veröffentlichung mit einem Sack Gold unterm Kopfkissen aufwachen. Selbst wenn du in den ersten Tagen oder Wochen gut verdienst, musst du warten, bis der jeweilige Provider das Geld auszahlt, was je nach Veröffentlichungsdatum ein oder zwei Monate dauern kann (bei Verlagen noch länger).
Wie groß letztendlich dein Gewinn ist, hängt davon ab, wie viele Bücher du tatsächlich verkauft hast und wie hoch vorab deine Ausgaben waren.
An dieser Stelle wird deutlich, warum du unbedingt mehr als ein Buch schreiben solltest, wenn du wirklich vor hast, vom Schreiben leben zu können. Womit wir beim nächsten Satz in Willi Wunderlichs Geschichte sind:
Schreiben als Beruf
Zu Satz 9:
Wenn [Willi] wollte, bräuchte er nie wieder auch nur ein einziges Wort zu schreiben.
Zeig mir einen Schriftsteller da draußen, der nur ein einziges Buch geschrieben hat und auch heute noch davon leben kann. Und nein, J.K. Rowling zählt nicht. Denn hätte sie nach dem ersten Harry-Potter-Band aufgehört, dann wäre sie jetzt auch nicht so reich, wie sie ist.
Also: Nur wer viel schreibt, kann auch vom Schreiben leben.
Aber jetzt mal im Ernst: Warum solltest du Autor werden wollen, wenn dir Schreiben so wenig Spaß macht, dass du gleich wieder damit aufhören willst, nur weil du ein Buch geschrieben hast, das sich gut verkauft?
Ich zumindest wollte Schriftsteller werden, weil ich gerne schreibe. Also werde ich sicher nicht damit aufhören.
Außerdem gilt zu bedenken … Aber dafür siehe Satz 10 aus der wunderlichen Willi-Geschichte:
Der Bestseller
Zu Satz 10:
Er kann sich zurücklehnen und den ganzen Tag damit verbringen, die Möwen über seinem neuen Strandhaus zu zählen.
Nur weil (d)ein (erster) Roman Erfolg hatte und vielleicht sogar zum Bestseller geworden ist, schwimmst du nicht den Rest deines Lebens im Geld.
Natürlich gibt es in so einem Fall einen Peak in deinen Einnahmen, aber damit müsstest du ja (wenn du „jetzt“ aufhören würdest) deinen kompletten Lebensabend bestreiten. Und zwar nicht nur die zwei, drei Monate, in denen dein Buch ganz oben auf der Welle schwimmt, sondern auch die Jahre, die folgen.
Womit wir wieder dabei wären, dass du niemals aufhören solltest, Geschichten zu schreiben, und gleichzeitig eine Kurve zum vielleicht wichtigsten Satz in Willis Geschichte schlagen:
Disziplin
Zu Satz 11:
Falls er doch wieder Lust bekommt, schreibt er ein oder zwei Stunden am Tag, aber nötig hat er das natürlich nicht.
Wenn du ein Schriftsteller bist und vom Schreiben lebst, dann hast du wahrscheinlich einen genauso geregelten Tagesablauf wie jeder andere in seinem „normalen“ Beruf.
Vielleicht hast du ein wenig verrücktere Arbeitszeiten, immerhin kannst du dir selbst aussuchen, wann du an deiner Geschichte sitzt. Aber trotzdem musst du die Wörter dafür „idee“isieren und schreiben und korrigieren … und das erfordert Zeit.
Dafür gibt es keine Abkürzungen, sondern nur kontinuierliche, disziplinierte und harte Arbeit. (Die – wenn du es richtig angehst – auch noch Spaß macht ;-))
Und, ganz ehrlich, bei jedem anderen (nicht künstlerischen) Beruf würdest du das nicht nur logisch finden, sondern auch erwarten. Schriftsteller sind in diesem Punkt nicht anders.
Kommen wir zum letzten Abschnitt in Willis wunderlicher Geschichte:
Der Autor, das unbekannte Wesen
Zu Satz 12:
Außerdem weiß natürlich kein Mensch auf der Welt von [Willi Wunderlichs] wahrer Identität.
Mit einem Pseudonym wäre das wohl tatsächlich möglich. Aber es gibt (für meinen Geschmack) zu viele Fälle, in denen die wahre Identität am Ende doch herausgekommen ist.
Außerdem ist das (meiner Meinung nach) einfach ein Relikt.
Autoren haben als Geschichtenerzähler angefangen, damals, in den Zeiten der Höhlenmenschen, wenn abends am Lagerfeuer Mammuts verspeist wurden 😛 Da war es normal, wenn Geschichtenerzähler und Zuhörer miteinander kommunizierten.
Dann gab es irgendwann die Möglichkeit, Geschichten aufzuschreiben und per Buchdruck weit über die Grenzen deines „Lagerfeuers“ (heimischer Herd/Heimatstadt) hinaus zu verteilen.
Dabei ging der Kontakt verloren, denn diese Autoren hatten (ohne Autos und Internet) so gut wie keine Gelegenheit, mit ihren Lesern zu interagieren.
Aber heute ist das anders. Jeder Leser ist nur einen Klick weit von dir entfernt und damit sind wir schon beim nächsten und letzten Punkt:
Fan-Kontakt, Marketing und Social Media
Zu Satz 13:
Kontakt zu seinen Lesern hat [Willi] nicht nötig.
Menschen lieben Geschichten. Deshalb lesen sie Bücher. Und damit lieben sie natürlich auch die „Geschichte der Person hinter den Texten“. Das ist so etwas wie das Special Feature einer jeden (aktuellen) Geschichte, dass es den Mensch, der sie erzählt hat, tatsächlich gibt und theoretisch die Möglichkeit besteht, dass man ihm auf der Straße begegnen könnte oder sich eben über Social Media mit ihm unterhält.
Verwendest du ein Pseudonym, dann nimmst du deinen Lesern die Gelegenheit, noch eine weitere Geschichte (deine Geschichte) für sich zu entdecken.
Außerdem: Je näher du deinen Lesern bist, desto eher hast du die Chance, etwas zu schreiben, das ihnen auch wirklich von Herzen gefällt und sie berührt.
Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, mit Menschen über die Dinge zu sprechen, die dir selbst am Herzen liegen und in deinem eigenen Kopf entstanden sind ❤
Von Willi Wunderlich zu Frida Freestyle
Warum erzähle ich dir das alles?
Dafür möchte ich dir noch eine weitere kleine Geschichte erzählen. Ein Beispiel, das deutlich macht, wie abstrus die Vorstellung von Willi Wunderlich und seinem Debüt-Roman-Bombenerfolg eigentlich ist.
Stell dir vor, du möchtest Friseur werden und die Vorstellung von deinem Werdegang sieht so aus:
Frida Freestyle hat eine Vision von einer Frisur. Gleich macht sie sich ans Werk und zeichnet eine grobe Skizze. Diese schickt sie an ein paar Superstars heraus und Madonna ist auf der Stelle hellauf begeistert. Frida wird kostenlos eingeflogen und fängt sofort an zu schneiden und zu stylen. Das Ergebnis ist atemberaubend. Madonna ist begeistert. Frida bekommt so viel Geld und Publicity, dass sie für den Rest ihres Lebens nie wieder Haare schneiden muss.
Öhm … ja. Wie realistisch klingt das? Denkst du nicht auch, dass Frida vielleicht erst mal eine Ausbildung machen sollte? Dass sie ein paar Jährchen üben muss, bevor auch nur ein kleines Sternchen in Erwägung zieht, Frida in die Nähe ihrer Haare zu lassen? Und glaubst du nicht vor allem auch, dass Frida in ihrem Leben garantiert mehr als eine Frisur schneiden wird, wobei ihre erste sicher (und hoffentlich) nicht ihre beste sein wird?
Die Geschichte von Frida und Madonna scheint offensichtlich an den Haaren herbeigezogen (*muahahaaa*), aber die Geschichte von Willi Wunderlich hält sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen. Wahrscheinlich, weil es a) um so vieles länger dauert, ein Buch zu schreiben als eine Frisur zu schneiden, und b) weil es Beispiele gibt, in denen es genau so funktioniert zu haben scheint.
Aber ein „Übernachterfolg“ braucht meistens viele Jahre Vorbereitung, die allerdings im Nachhinein gerne übersehen werden.
Willi Wunderlich gibt es nicht, frag Frida!
Du siehst also: Willi Wunderlich gibt es nicht. Er ist eine fixe Idee, eine Geschichte, die sich hartnäckig in den Köpfen angehender Autoren hält und schon den einen oder anderen völlig zur Verzweiflung getrieben hat, weil es so unmöglich scheint, diesem Ideal zu entsprechen. Einfach, weil es unmöglich ist, es zu erreichen.
Deshalb fordere ich dich hiermit auf, Willi Wunderlich ganz schnell in das Buchregal zu setzen, in das er gehört, nämlich unter Fiktion (vielleicht sogar Fantasy), und dich selbst auf das zu konzentrieren, was du ändern und beeinflussen kannst: dich.
Aber wie läuft das wirklich?
In vielerlei Hinsicht ist „Schriftstellerei“ ein ganz normaler Beruf. Und wie in jedem anderen Beruf solltest du dich darauf einstellen, dass du Zeit, Arbeit und Geld investieren musst, um dich weiterzubilden.
Dein Talent kannst du vielleicht nicht beeinflussen, aber deine Motivation und vor allem dein Training liegt zu 100% in deiner Hand. Wenn du dich hinsetzt und immer weiter Geschichten schreibst, wenn du mehr trainierst und immer weiter lernst, niemals aufgibst und immer weitermachst, dann kannst du gar nicht anders als erfolgreich sein.
Dann könnte das Ganze aussehen wie bei …
Wilhelmina Wirklich
Wilhelmina Wirklich möchte Autor werden. Also setzt sie sich hin und schreibt. Die fertige Geschichte überarbeitet sie, so gut sie eben kann. Dann lässt sie eine Rechtschreibkorrektur über das Manuskript laufen, besorgt sich Feedback und arbeitet es ein. Während die Geschichte auf einen Verlag wartet oder bereits im Selbstverlag veröffentlicht wurde, benutzt sie das erhaltene Feedback, um ihre nächste, (noch) bessere Geschichte zu schreiben, mit der sie sofort in eine neue Roman-Runde startet.
Wilhelmina Wirklich betrachtet ihre ersten Werke und alle Ausgaben dafür als Lehrgeld und Ausbildungszeit. Sie weiß, dass es dauern kann, bis sie erfolgreich ist, aber das schürt nur ihren Ehrgeiz. Und sie schreibt ständig an einer neuen Geschichte. Schließlich liebt sie es zu schreiben, aber sie ist auch diszipliniert, arbeitet fast jeden Tag an ihren Büchern, motiviert sich auch über Durststrecken hinweg und durch schwierige Phasen hindurch. Denn sie hat das Ziel immer fest im Blick: Ihre Leser glücklich machen.
Darum steht sie auch gerne und häufig mit ihren Lesern in Kontakt. Sie trifft sich mit Autorenkollegen, geht auf Buchmessen und tut alles, um ihre Werke in die Welt hinauszutragen. Denn das Einzige, was ihr noch mehr Spaß macht, als zu schreiben, ist, gelesen zu werden und damit nicht nur ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern auch die Herzen von so vielen Menschen wie möglich zu berühren.
So, oder so ähnlich, könnte die Geschichte von Wilhelmina Wirklich aussehen. Nein, sie ist nicht so glamourös wie die von Willi Wunderlich, aber dafür ist sie echt, wiederholbar und das Beste: Sie könnte deine sein.
Darum hoffe ich, dass du nach diesen Zeilen nicht nur eine bessere Vorstellung davon hast, was es wirklich bedeutet, Schriftsteller zu werden, sondern, dass du auch Mut gefasst hast. Denn du musst nicht sein wie Willi Wunderlich, um als erfolgreich zu gelten. Es reicht völlig, wenn du dich auf das, was du beeinflussen kannst, konzentrierst, wenn du dem Pfad von Wilhelmina Wirklich folgst und deinen Bestseller nicht über Nacht, sondern mit viel Disziplin und Spaß an der Sache auf den Weg bringst. Indem du jeden Tag ein besserer Schriftsteller wirst.
Jetzt du:
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Tatjana Lunz meint
Ein sehr wichtiger Artikel!
Ich glaube, die Vorstellung von Willi Wunderlich hält sich auch deshalb so stark, weil wir nur von den Ausnahmen hören, aber nicht von der Regel. Tausende von Autoren schreiben, Hunderte werden überhaupt fertig, ein paar Dutzende senden ihr Manuskript ein und genau ein Autor wird tatsächlich erfolgreich veröffentlicht. Aber dadurch, dass wir nur vom Erfolg dieses einen Autors erfahren und nicht von den Tausenden, die bereits früh gescheitert sind, wird unser Autorenbild verfremdet.
Marketing wird da oft unterschätzt, aber es kann den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. In der Buchhandlung, in der ich arbeite, merke ich immer wieder, dass es Hunderte schöne Geschichten gibt, sich aber oft nur die verkaufen, die Werbung von uns oder außerhalb bekamen. Von daher denke ich schon, dass Ulla Unbekannt eine Chance hätte, wenn genug Werbung betrieben wird, aber Stephen King natürlich noch mehr.
Danke, dass du mit dieser falschen Vorstellung aufräumst 🙂
Jacky meint
Hi Tatjana!
Vielen Dank für deinen tollen Kommentar.
Du hast so recht! Wobei häufig gedacht wird, dass die „Großen“ gar kein Marketing brauchen, dabei ist bei berühmten Menschen schon der Name selbst das beste Marketing. Egal, ob jetzt Stephen King oder Lothar Matthäus, wenn sie ein Buch schreiben, wird es wahrscheinlich gekauft
Das bedeutet, Ulla Unbekannt muss sich ziemlich anstrengen, um deren Vorteil aufzuwiegen aber mit Wilhelmina Wirklichs Hilfe kann sie es bestimmt schaffen
Ganz liebe Grüße
Jacky
Jana Schön meint
Danke für den Artikel. Das war sehr aufschlussreich.
Heinen Daniela meint
Wow, wirklich toll geschrieben. Ich mag es, dass du so ausführlich bist und dennoch so strukturiert. Danke für diesen tollen Beitrag!
Jacky meint
Freut mich von Herzen, dass dir der Artikel so gut gefällt
Susanne Bregenzer meint
Liebe Jacky
WUNDER(lich) SCHÖN! Danke für deinen Artikel. So oft wird man als angehende Autorin, oder Autorin gefragt, wann man denn reich wird und (falls das nicht der Fall ist) gilt man eben also erfolglose Autorin, weil sich dieser Mythos so hartnäckig hält und immer wieder von der Geschichte von Rowling genährt wird. Die Tellerwäscherstory eben. Leute lieben das;-) Manchmal bin ich schon versucht zu glauben, dass Harry Potter auch deshalb so erfolgreich ist, weil ihre Tellerwäschergeschichte dahinter die Leute genauso begeistert.
Wenn ich sage, ich verdiene mit 3 veröffentlichen Büchern ein kleines Taschengeld im Monat, dann nicken die Leute höflich und lächeln und denken sich wahrscheinlich, so wird das aber nix mit den Millionen:-)
liebe Grüße
Susanne
Michaela meint
Liebe Jacky und liebe „Kommentatoren“,
ich bin Euch wirklich dankbar für Eure Offenheit und die Richtigstellung der Wirklichkeit. Gerade habe ich das Manuskript sowie das Exposé des ersten Teils meiner Fantasy-Triologie ‚fertig’gestellt. Jetzt stecke ich fest und weiß nicht, wie es nun weitergehen soll.
Es ist definitiv so, dass es viel Zeit, Motivation und Disziplin braucht, um Geschichten zu Papier zu bringen. Und natürlich möchte man auch, dass die Geschichten, an denen man mit Herzblut mühselig gearbeitet hat, gelesen werden und Menschen begeistern.
Und dann merkt man, dass es da ein riesiges schwarzes Loch gibt, das sich zwischen der Geschichte und dem Leser auftut – eine Agentur oder einen Verlag zu finden ist überhaupt nicht einfach. Und die Tatsache, dass der Erfolg nicht unbedingt mit der Qualität der Geschichte zusammenhängt, wirkt ziemlich entmutigend. Daher werde ich mir jetzt Wilhemina Wirklich zum Vorbild nehmen, mich nicht einschüchtern lassen und einfach weiter machen… Danke für die motivierenden Worte in diesem Beitrag!
Liebe Grüße
Michaela