Sehen. Der erste „Sinn“ dieser Serie, sind deine Augen.
Was siehst du wirklich?
Ist dir schon einmal aufgefallen welche Farbe die Blätter im Herbst haben? Ich weiß, dass man allgemeinhin sagt „die Blätter werden Bunt“ aus dem Kindergarten weißt du vielleicht noch, dass es neben gelb und braun, auch rote Blätter gab.
Aber hast du wirklich schon einmal gesehen, dass Blätter so dunkel rot sein können, dass sie schwarz scheinen, dass sie manchmal getupft, gesprenkelt und gestreift sind und das kein Blatt wie das Andere aussieht?
Gedankenexperiment
Sieh dich in deinem Zimmer um und zähle alle roten Gegenstände die du finden kannst. Dann klick hier und beantworte die dortige Frage. Wichtig! Schließ die Augen, sobald du die Frage gelesen hast und beantworte die Frage ohne (!) dich vorher noch einmal umzuschauen.
Wir sehen was wir sehen wollen
Und? Konntest du die Frage beantworten?
Wenn du das Experiment noch nicht kanntest, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du es nicht konntest. Die meisten Menschen sehen nur das, was sie sehen möchten und behalten das worauf sie achten. Wenn Gerd und Petra durch die Stadt gehen kann Petra am Ende von der hübschen Bluse mit dem Blümchenmuster berichten und dem neuen Wäschegeschäft gleich neben dem Blumenladen. Hans dagegen hat den neuen Siebener BMW bemerkt, der vor der Bank geparkt hat und die neue Bedienung im Eisladen.
Das Gehirn und der Überfluss
Diese Einschränkung geschieht ganz automatisch. Das Gehirn wir in jeder Sekunde mit abermillionen Eindrücken überflutet, die es gar nicht alle behalten kann. Deshalb besitzt es einen genialen Filter, der nur das überhaupt ins Kurzzeitgedächtnis lässt, was vielleicht von Interesse ist. Das ist auch der Grund, warum du bei einem Autounfall für ein Dutzend Zeugen auch ein Dutzend unterschiedliche Geschichten bekommen wirst.
Wenn du also lernen willst richtig hinzuschauen, dann ist der erste Schritt, dich vollkommen zu öffnen. Du musst versuchen wirklich alles um dich herum wahrzunehmen und eben nicht filtern. Versuch auch das Profil der Autoreifen zu erkennen, die Nase der neuen Verkäuferin, die Farbe der Blätter am Baum. Nimm nichts als Selbstverständlich hin. Tu so, als sähest du Alles zum ersten Mal.
Üben, üben, üben
Es ist wie bei allen anderen Dingen auch: Sehen lernst du am Besten, indem du es einfach tust. Mach einen Spaziergang, geh raus an die frische Luft und nimm alles in dich auf: Die Farben, die Formen, einfach alles.
Dabei geht es nicht darum am Ende perfekt im „Landschaften-beschreiben“ zu werden. Es geht einfach nur darum für die verschiedenen Dinge und Zustände neue Worte zu finden, den Umgang mit den Worten zu üben, neue, bessere, spezifischere Worte zu finden. Oder wenn du keine kennst dir welche anzueignen.
Ein Beispiel
Hier ein kleines Exempel, was man durch richtiges Hinsehen und damit verbundenem richtigen zeigen erreichen kann.
Edi sah wie sich das gigantische Ungeheuer langsam auf ihn zu bewegte.
Zugegebener Maßen kein Meisterwerk und vielleicht auch ein bisschen geschummelt, weil ich nicht wirklich zeige. Ich sage was Edi sieht, aber ich zeige es nicht. Ich rede nur von einem Ungeheuer, dabei kann ich zeigen, dass es eins ist, ohne dieses Wort auch nur zu erwähnen:
Das Tier ist hoch wie ein Haus, ölige schwarze Schuppen ziehen sich über seinen Körper und aus seinem Maul trieft giftig, grüner Schleim.
Und konntest du es sehen? Was hat dich mehr beeindruckt? Aber das ist erst der Anfang.
Das echte Leben
Wenn du davor stehst und dir selbst etwas beschreibst, dann merkst du meist direkt ob es passt oder nicht. Fernsehn funktioniert nicht, weil das zweidimensional und selbst nur eine Abbildung ist. Es ist nicht real. Im Fernsehen gibt es Geister, Elfen, Feen, Trolle, Massenmörder, Kinderschänder, Tropenvögel, Raumschiffe und Ritterspiele. Aber nichts davon ist greifbar. Ein Knopfdruck und alles ist verschwunden.
Wenn du dich aber im Wald unter einen Baum hockst und die Vögel im Nachbarbusch beobachtest, dann bist du life dabei und kannst beobachten wie sie sich bewegen, wie es aussieht wenn sie sich das Gefieder putzen oder die Schnäbel wetzen. Du kannst spüren ob deine Beschreibung, dein „Zeigen“ passt oder ob es einfach nur daneben liegt.
Danach bleibt dir nur noch eins zu tun: Nimm dir deinen Notizblock oder klemm dich hinter deinen PC und dann schreib das Gesehene nieder. Übe durch das Schreiben selbst.
Was siehst du? – Fragen als Hilfestellung
Welche Farbe hat es? Welche Form hat es? Wie groß ist es? Wie sieht die Oberfläche aus? Sieht es weich aus? Was für eine Struktur hat es? Aus welchen Teilen besteht es? Wenn du es dir als Silhouette vorstellst, wie sieht dann der Raum aus, den es gerade nicht ausfüllt (Negativraum)? Wie hell ist es? Wie verändert es sich wenn sich das Licht ändert? Glänzt es? Leuchtet es? Glüht es?
Fallen dir noch mehr Fragen ein die beim Betrachten hilfreich oder wichtig sind?
Aufgabe für heute
Schreib etwas auf, eine Kleinigkeit die du gesehen hast, die dir sonst nie aufgefallen wäre und teile sie uns mit. Wenn du einen kleinen Anreiz brauchst: Sie sollte eine ganz besondere Form haben (der Teil ist optional). Teil uns dein Ergebnis mit.
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