Manchmal ist es unendlich schwer, Wörter auf das Papier zu bekommen. Du hast dir extra ein Thema ausgesucht, für das du brennst und trotzdem kommst du kaum voran. Besonders bei Anfängern kann das ein Problem sein, aber auch fortgeschrittene Schriftsteller kommen gelegentlich an diesen Punkt.
Für dieses Problem gibt es die sogenannten Morgenseiten. Sie sind ein Trainingsmittel, um deinen Fingern beizubringen, das zu schreiben, was in deinem Kopf ist. Denn Schreiben ist ein Muskel, der trainiert werden muss.
Ich persönlich konnte mit dieser Übung nie etwas anfangen, bis … aber fangen wir am Anfang an.
Was sind Morgenseiten?
Zum ersten Mal habe ich vor fast zwanzig Jahren von den „Morgenseiten“ gelesen. Dorothea Brande (nein, nicht bei Julia Cameron) schreibt in ihrem Buch „Schriftsteller werden – Der Klassiker über das Schreiben und die Entwicklung zum Schriftsteller“ (von 1934), auf Seite 53:
Wenn Sie also die Möglichkeiten Ihres Unterbewussten voll ausschöpfen möchten, indem Sie jederzeit leicht und flüssig mitschreiben, wenn es gerade aktiv ist, müssen Sie zunächst ihren Körper trainieren.
Am besten stehen Sie dazu eine halbe oder eine Stunde früher als gewohnt auf. Beginnen Sie sobald wie möglich, ohne sich vorher zu unterhalten und ohne die Zeitung zu lesen oder das Buch auf ihrem Nachttisch zur Hand zu nehmen, mit dem Schreiben.
Schreiben Sie alles auf, was Ihnen durch den Kopf geht – was Sie in der Nacht geträumt haben, wenn Sie sich noch daran erinnern, ein Gespräch, sei es real oder ausgedacht, oder eine Befragung Ihres Gewissens zu irgendeiner Angelegenheit. Schreiben Sie zügig und ohne den Inhalt zu bewerten, eine morgendliche Träumerei auf. Ob das, was Sie schreiben, hervorragend oder überhaupt von Wert it, spielt hier keine Rolle. Sie werden zwar später feststellen, dass das Geschriebene besser als erwartet ist, aber Ihre Aufgabe besteht im Moment nicht darin, unsterbliche Literatur zu produzieren, sondern einfach etwas zu schreiben, das nicht absolut sinnlos ist.
Das klingt (für mich) sehr stark nach den Morgenseiten, die Julia Cameron in ihrem „Der Weg des Künstlers“ empfiehlt.
In beiden Fällen sind es Werkzeuge, um dich selbst zu trainieren, auch mal „schlecht zu schreiben“ , um überhaupt etwas aufs Papier zu bekommen, was du dann verbessern kannst.
Mein erster Versuch
Ich habe mich damals eine ganze Weile mit dieser Übung beschäftigt. Schließlich ist Training immer eine gute Sache.
Morgens, direkt nach dem Aufstehen, teilweise noch im Halbschlaf, habe ich alles aufgeschrieben, was mir in den Sinn kam. Aber bis auf die Tatsache, dass ich am Ende unheimlich müde war, konnte ich keinen Effekt feststellen.
Deshalb habe ich dieses Ritual bald wieder aufgegeben. Zusammenhangslose Tagträumereien und Gedankenschnipsel aufzuschreiben fand ich langweilig und den versprochenen „Sinn“, der am Ende des zitierten Absatzes erwähnt wurde, habe ich nie gefunden.
Deshalb habe ich auch keinen ernsthaften zweiten Versuch gestartet, als ich später von Julia Camerons Übungs-Ansatz mit dem Namen „Morgenseiten“ gehört habe.
Doch dann bin ich vor einer Weile dazu übergegangen, wieder „Tagebuch“ zu schreiben.
„Mein Tagebuch“ = Morgenseiten mit Sinn
Was meine ich mit Tagebuch? Nun, als ich angefangen habe, war mir das noch nicht bewusst, erst, als ich einige Zeit später wieder über die Morgenseiten gestolpert bin ist mir aufgefallen, dass „mein Tagebuch“ im Grund genommen genau dasselbe ist. Nur hatte ich dem Kind einen anderen Namen gegeben und es gab einen entscheidenden (Gedanken-) Twist (plus ein paar Zusätze).
Ja, ich darf über alles schreiben, was in meinem Kopf herumgeistert, aber ich habe zusätzlich die „Erlaubnis“ eine Frage zu stellen. Manchmal sind das Probleme ganz persönlicher Natur, aber häufig genug handelt es sich schlicht und ergreifend um Plotprobleme.
Zum Beispiel:
Anna soll im vierten Kapitel durch ein fantastisches Portal schreiten.
Problem: Warum macht sie das? Hat sie keine Angst?
Wahrscheinlich schon, aber vielleicht ist etwas Wichtiges auf der anderen Seite. Wenn ihr Bruder entführt worden ist, muss ich die ganze Geschichte ändern, aber wenn es ein Gegenstand ist … das könnte klappen. Was denn zum Beispiel? Das Tagebuch ihrer Mutter? Oder vielleicht eine alte Uhr? Die goldene Taschenuhr ihres Großvaters! Aber was hätte die in der anderen Welt zu suchen. Vielleicht lieber eine Kette, die in Wirklichkeit magische Fähigkeiten hat. Die könnte dann ihrer Urgroßmutter gehört haben. Deshalb bewahrt ihre Mutter die auf und jetzt ist die Kette plötzlich verschwunden und Anna sieht sie durch den Spiegel/das Portal und muss sie wiederholen, weil sie sonst Ärger bekommt.
Warum bekommt sie Ärger? Weil sie sich die Uhr (ohne zu fragen) geborgt hatte, um auf einer Klassenparty damit anzugeben und dabei ging das gute Stück verloren.
Du siehst, plötzlich drehen sich meine aufgeschriebenen Gedanken nicht mehr um „tanzende Vampire“ oder „Flüge durch endlose Herbstwälder„. Nein, sie machen meinen Kopf frei von diesen Fragen und meine Finger finden (oft genug) eine Lösung für das Problem.
Plötzlich „läuft’s“
Dadurch, dass ich „meine Morgenseiten“ als „Tagebuch“ bezeichnet habe, sind sie für mich zu einem super hilfreichen Mittel geworden, um Ordnung in mein Gedanken-Chaos und den Plot zu bringen.
Ich weiß, das scheint auf den ersten Blick ein kleiner Schritt zu sein, aber für mich war diese simple Umbenennung und der Gedankenschritt zur Erlaubnis „echte Probleme“ zu behandeln, eine Offenbarung.
Plötzlich waren „Morgenseiten“ keine Aneinanderreihung von zufälligen Gedanken mehr, sondern ein Problemlösungswerkzeug der Extraklasse.
Anwendungsgebiete
Mach dein eigenes Ding draus 🙂
Ich beginne meistens mit den „Morgenseiten“ (die ich jetzt wieder so nenne, einfach weil mir das Wort gefällt) meinen Tag. Selbst, wenn einmal keine Probleme oder Fragen vorhanden sein sollten, schreibe ich einfach auf, worüber ich gleich in meinem Manuskript schreiben werde.
Dadurch nehme ich mir selbst den Druck „jetzt schon“ lesewürdiges Material zu produzieren und denke bereits über mögliche Stolpersteine nach und gebe meinem Gehirn die Möglichkeit, sie bereits vorab zu lösen.
Zusätzlich bin ich dazu übergegangen „meine Morgenseiten“ zu jeder Tageszeit zu starten, wann immer ein Plot- oder Charakter-Problem auftaucht, auf das ich keine spontane Antwort weiß.
Dabei findet dieses Denken manchmal mit Stift auf Papier statt, aber wenn es sich gerade besser anfühlt und ich weiß, dass meine Gedanken zu schnell für die Feder sind, dann „darf“ ich auch tippen.
Alles ist erlaubt, was mich näher zur Lösung meines Problems oder zur Antwort auf meine Frage bringt.
Du bist gefragt:
Schreibst du Morgenseiten? Oder Tagebuch? Oder ist für dich beides dasselbe? Und wie genau sieht deine Umsetzung aus? Welche Tipps würdest du einem Morgenseiten-/Tagebuch-Anfänger geben?
Margit meint
Ich schreibe seit meinem 10. Lebensjahr Tagebuch bzw. Morgenseiten. Inzwischen habe ich in 58 Jahren viele Bücher vollgeschrieben. Für mich ist das Buch eine guter Freund, bei dem ich meine Sorgen abladen und dem ich meine Freude mitteilen kann. Es ist auch interessant, mal nachzuschlagen, was ich zig Jahre zuvor empfunden habe. Das beste Resultat erziele ich, wenn ich Abends vorm Schlafengehen schreibe und mich sozusagen von allem schreibend befreie, was mich bedrückt und bewegt. Der Schlaf tritt danach sehr schnell ein und ist tief und erholsam. Ich kann es jedem empfehlen, der einsam ist oder schlecht einschlafen kann. Für mich ein wichtiges Hilfsmittel für mein Wohlbefinden.
Samantha Klein meint
Hallo
Ich hatte das mal gemacht und es hat wunderbar funktioniert. Nicht nur, um den Kopf frei zu bekommen, sondern auch um Ideen zu sammeln und Probleme in Geschichten und Stories zu lösen von denen ich noch gar nicht wusste das es Probleme waren.
Neben der Uni ist das für mich aus verschiedenen Gründen nicht machbar, aber sobald ich wirre Gedanken nach dem Aufstehen haben, schreibe ich diese auf und es kommen meist gute Ideen dabei heraus, die ich in einem Buch sammel.
Schließlich ist das Studium auch irgendwann wieder zu ende und dann kann ich diese Ideen wieder zu rate rufen. Auf jeden Fall sollte man diese Methode für einige Zeit ausprobieren, es hilft ungemein,
Lisa meint
Tagebuch hab ich schon als kleines Kind geschrieben, seit ich zu Ostern mal ein sehr schönes Exemplar geschenkt bekommen hatte. Die Einträge waren zwar damals wenig geistreich und sind heute weniger häufig, aber ich tu es noch. Allerdings ist mein Tagebuch mehr so eine „Ansammlung an Auszügen aus meinem Leben, die ich für würdig halte auf Papier festgehalten zu werden“. Als Kind war das natürlich jeder -Tschuldigung- Sch**ß der mir so passiert ist und heute ist es mehr so „Ich hab eine wichtige Prüfung bestanden“. (Dennoch ist es mittlerweile das 5. Buch dass ich vollschreibe, seit 2003)
Aber ich hab trotzdem eine enorme Ansammlung an Notizbüchern, die ich für’s Schreiben nutze. Ich hab mich auch eine Zeit lang an den Morgenseiten versucht aber als Student ist einem Schlaf dann doch irgendwie wichtiger und ich bin schlich und einfach kein Morgenschreiber.
Ich hab Zwei Bullet-Journal, ein normales und eins extra für’s Schreiben, wo ich dann Ideen festhalte, PlotStichpunkte, Charaktere oder Landkarten wo ich die Wege festhalte die die Leute nehmen… und manchmal auch Recherche-Ergebnisse.
Jenny Burger-Krenn meint
Liebe Jacky, ich begann mit den „Morgenseiten“ am 3.6.2012, nachdem ich das Buch von Julia Cameron „Von der Kunst des Schreibens …und der spielerischen Freude, Worte fließen zu lassen“ gelesen hatte. Seither schreibe ich fast täglich rund eine A4 Seite mit meinem Laptop, zu allen möglichen Zeiten. Auch ich benütze diese Art des Schreibens, um Fragen zu klären, die sich aus meiner Schriftstellerei ergeben, aber auch um Erlebnisse, Träume, Gedanken, Gedichte (eigene oder andere) festzuhalten. In diesen Jahren ist einiges zusammen gekommen und ich bin beim Lesen jedes Mal aufs Neue erstaunt, was da alles steht. Manchmal kommt es mir vor, als läse ich ein Buch einer anderen.
Du siehst, dass ich es ähnlich halte wie du.
Ich wünsche dir noch viel Kreativität und Freude.
Alles Liebe Jenny
Martina Heyd meint
Hallo Jacky,
wirklich eine gute Anregung um in den Schreibfluss zu kommen.
Ich habe die Morgenseiten auch getestet. Mir war es egal, zu welcher Tageszeit. Wichtig ist das Schreiben und das funktioniert nur mit dem täglichen Tun. Zumindest bei mir. Besten Dank für Deine wunderbare Seite und Motivation.
Hanna meint
Jeden Morgen werde ich meine Gedanken wohl nicht aufschreiben. Aber ich finde die Möglichkeit das Problem oder die Fragestellung, bei der ich nicht weiter komme einfach mal aufzuschreiben ganz gut. So kann ich meine Gedanken schweifen lassen, ein paar Szenarien ausprobieren und gucken, was funktioniert und sich gut anfühlt.
Anton meint
Morgenseiten nach Julia Cameron (oder wie auch immer ) funktionieren für mich nicht. Meine derzeitige Lebenssituation macht es auch sehr schwierig, mich morgens als erstes mit einem Blatt Papier zu beschäftigen, und ich bin kein Typ für jeden Tag extra früh aufstehen. Aber es ist schon so, dass es mir hilft, Dinge erstmal aufzuschreiben, sei es in einem Forum oder einer e-mail an jemanden, um Distanz zum Inhalt zu bekommen und dann eine neue Sichtweise oder ganz unerwartete Lösungen zu finden.
Janna Lehmann meint
Wie Margit schreibe ich seit meiner Kindheit Tagebuch, mit neun habe ich angefangen und längst reichen sieben Kisten nicht mehr aus, sie alle zu lagern. Ein paar sind aber auch verloren gegangen. Immer schon war es kein Geschehnis-Tagebuch, sondern immer Gedankentagebuch.
Seit einem Jahr – und darum passt es hierher – bin ich dazu über gegangen, es gleich morgens zu schreiben: Ich mache mir um halb sechs einen Tee, krabbele zurück ins Bett und schreibe erst einmal, ehe ich die Kinder wecken muss und der Alltag losgeht. Das ist sicher ein gutes Training, aber es bringt mich in meinem Roman nicht weiter. Und so werde ich mal deine Methode anwenden, Jacky, und zum Tagebuch auch Ideen zu meinem Roman festhalten – einfach so, ohne Ordnung, ohne Zwang, sie verwirklichen zu müssen/wollen. Hat einer von Euch Jacky-Followern es schon ausprobiert?
Herzliche Grüße,
Janna
Chiri meint
Ich hatte Morgenseiten vor etwa zwei Jahren mal ausprobiert, als ich gerade Julia Cameron gelesen habe und ich hatte dasselbe Problem – ich habe keinen hilfreichen Effekt festgestellt und es eher als Zeitverschwendung angesehen. Mein Konsens war daher, die Zeit doch lieber in mein richtiges Projekt zu investieren. Dein – etwas abgewandelter – Ansatz klingt allerdings ziemlich interessant und vielversprechend und ich denke, ich werde ihm einen Chance geben. 🙂
Liebe Grüße!
Maya meint
Ein Tagebuch führe ich nicht und auch kann ich mich definitiv nicht morgens dazu aufraffen, etwas zu schreiben. Was aber für mich gut funktioniert, wenn es mal bei meinen geordneteren Geschichten nicht so recht funktionieren will ist, stattdessen dann einfach meine Tagträume niederzuschreiben. So schreibe ich völlig zwanglos eine Geschichte über mich selbst, wie ich tolle Dinge erlebe, Katastrophen Abwende oder mich in jemanden verliebe. Zu wissen, dass die Geschichte nie veröffentlich wird macht es für mich umso einfacher, einfach drauf los zu schreiben. Bei anderen Geschichten kommen immer wieder die Gedanken, dass ich auf die Konsistenz der Geschichte achten muss und dass es so geschrieben sein sollte, dass es andere Personen lesen könnten. Selbst wenn ich mir einrede, dass es nie veröffentlich wird, irgendwie kann ich den Gedanken, doch noch alle Optionen offen zu lassen, nicht ganz verdrängen.
Und das ist letztendlich auch der Grund, warum ich mich nicht in einem Tagebuch damit beschäftigen kann. Sobald mir klar ist, dass es um eine ernsthafte Geschichte geht, behandle ich das Geschriebene dann auch entsprechend und denke am Ende mehr nach, als das ich tatsächlich schreibe.
Deswegen schreibe ich auch einfach lieber meine Tagträume nieder, einfach damit die Gewohnheit, täglich 1000-1500 Wörter niederzuschreiben, fest in meinem Alltag verankert bleibt.
Petra A. Bauer meint
Liebe Jacky,
ich führe schon seit Ewigkeiten ein Schreibtagebuch in einer Evernote-Notiz. Allerdings immer nur, wenn ich festhänge. Das hat mir schon so manches Mal den A….. gerettet 😉
Und das sieht exakt so aus, wie in deinem Schreib-Beispiel. „Warum passiert das? Was könnte da los sein? Das? Neeee, das passt nicht. Dies? Hm. Vielleicht, aber dem stünde dann XY entgegen.“
Und so geht das dann weiter. Manchmal tippe ich diese Überlegungen auch direkt ins Manuskript.
Was ich aber bemerkt habe: Bei all den Vielleichts muss ich mich am Ende für eins entscheiden, auch auf die Gefahr hin, das es sich als Sackgase oder sonstwie doof entpuppt. Weil ich sonst nämlich trotz der schönen Überlegungen keinen Millimeter weiter komme.
Liebe Grüße
Petra
Jacky meint
Japp, ohne Entscheidung geht es nicht. Aber bei vielen Dingen lässt sich erst im Nachhinein sagen, ob sie wirklich funktionieren oder nur „schön geglitzert haben“. Macht aber auch nichts, denn wenn es erst Mal da steht, lässt es sich häufig auch sehr einfach korrigieren. Und zur Not gibt es ja immer noch die Löschen-Taste
Paula New meint
Hallo,
ich schreibe auch hin und wieder Tagebuch. Doch leider vergesse ich oft etwas hineinzuschreiben. Oder manchmal habe ich auch einfach keine Lust. Wenn ich manchmal in mein Tagebuch schaue würde ich gerne mehr Einträge sehen und ärgere mich, dass ich nicht ein paar mehr Gedanken hineingeschrieben habe.
Alles Gute,
Paula New