Geschichte zu beenden, kann aus den unterschiedlichsten Gründen schwerfallen. Falls dir auch die neuen Glitzerfunkelideen das Beenden schwer machen, dann habe ich hier einen Rat und ein paar wichtige Tipps für Wilhelmina und dich 😉
Ist es okay, wenn man mitten in der Geschichte aufhört zu schreiben?
Frage von Wilhelmina (Name geändert)
Ich bin jetzt schon so weit, aber langsam ist die Luft draußen. Stattdessen ist da diese andere Idee und die ist einfach tausend Mal besser …
Seit zwei Wochen habe ich jetzt schon kein einziges Wort geschrieben, stattdessen feile ich im Kopf an der anderen Idee.
Deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen. Du schreibst in deinem (übrigens genialen und super hilfreichen) Blog, dass man seine Geschichte unbedingt zu Ende schreiben muss. Aber wie denn, wenn man eigentlich gar keine Lust darauf hat?
Meine Antwort (in einem Wort zusammengefasst) lautet:
Schlecht!
Oder vielleicht eher: besser schlecht als gar nicht .
Denn wenn du diese Geschichte nicht beendest, wer sagt dir dann, dass du es bei der nächsten schaffen wirst?
Eine Sache, die ich mich in Dreiecks-Liebesgeschichten immer gefragt habe:
Sie ist „die andere Frau“ und geht mit ihm fremd. Wenn sie es schafft, dass er seine aktuelle Frau verlässt, was macht sie dann so sicher, dass er ausgerechnet ihr treu ist?
Das Wichtigste an deiner ersten Geschichte (das wichtigste an jeder Geschichte) ist, dass du sie zu Ende schreibst. Denn nur, wenn du sie zu Ende schreibst, kannst du sie verbessern und nur, wenn du sie verbesserst, wird irgendwann jemand sie mit Freude lesen können.
Außerdem lernst du so am meisten aus deiner Geschichte und kannst „die nächste“ noch besser machen.
Storytime:
Ich hatte mal eine Geschichte, nennen wir sie „Der fliegende Blödmann“. Im Endeffekt war das ein Teenager, dem seine Superkräfte zu Kopf gestiegen sind und der sich in ein Mädchen verknallt hatte, die „viel zu gut“ für ihn war. Die Ursprungsidee bestand nur aus einem einzigen Bild („Foto“ in meinem Kopf) auf dem „er“ ziemlich cool aussah.
Die Geschichte hat mir damals unheimlich viel bedeutet und ich hab gedacht „das wird mein Durchbruch“ (Spoileralarm: Wurde es nicht).
Auf jeden Fall lief es am Anfang natürlich super, ich hatte eine tolle, funkelnde Idee (das Bild im Kopf, auf das ich hingearbeitet habe) und spannende Charaktere … aber mit der Zeit wurde es zäh. Die ersten Zweifel tauchten auf, die Frage „Und was zum Teufel soll jetzt die ganze Zeit passieren?“ breitete sich immer hartnäckiger in meinem Kopf aus.
Was konnte dieser Typ schon machen? Er musste sich verändern, damit sie ihn mögen konnte, aber in dem Moment, in dem er sich veränderte, wurde er eine jüngere Version vom aalglatten Superman und meine Erinnerungen an „Superboy“ und „Supergirl“ waren (und sind) nicht gerade prickelnd.
Rückblickend bin ich hier an den Abgrund der Geschichte gestoßen.
Das erste Ende
Aber (!) ich hatte die Nase voll von unbeendeten Geschichten. Also habe ich mir nicht erlaubt zu wechseln, sondern ich habe die Geschichte zu Ende geschrieben und das war ein super wichtiger Schritt in meiner Entwicklung zum Schriftsteller.
Zugegeben, der Höhepunkt war nicht gerade berauschend. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich die Geschichte an einer Stelle, an der eigentlich die Mitte sein sollte, ziemlich holprig enden lassen. (Wenn du mich genau fragst, kann ich mich nicht mal daran erinnern, wie ich sie zu Ende geschrieben habe … kein sehr gutes Zeichen :-P)
Und das Verbessern habe ich mir damals ganz gespart, so sehr war ich über die Geschichte hinausgewachsen.
Aber (!) durch das „Ende“ unter dem „Fliegenden Blödmann“ habe ich gelernt, dass ich eine Geschichte zu Ende schreiben kann. Dieses Wissen hat mir Schwung gegeben und enorm dabei geholfen, die nächste Geschichte (Nennen wir sie „Die 5 Schlüssel„) nicht nur zu beenden, sondern auch zu korrigieren. (Bevor sie in eine andere Idee hineingearbeitet wurde.)
Das zweite Ende
Dieses zweite (sogar korrigierte) Ende der „5 Schlüssel“ war wieder neuer Wind in meinen Segeln, mit dem ich 2015 eine weitere Geschichte beendet habe „Die 5 Schlüssel und ein Vampir“, bevor ich im Dezember 2016 mein erstes Buch nicht nur beendet, sondern auch veröffentlicht habe. (Zauberhaftes Aschenputtel)
Was ich damit eigentlich sagen möchte: Die Geschichte, die du im Augenblick schreibst, wird dir eine Menge beibringen. Aber am meisten lernst du, wenn du „Ende“ darunter schreibst. Noch mehr lernst du, wenn du sie korrigierst und mit Probelesern zusammenarbeitest und am allermeisten lernst du, wenn du sie veröffentlichst.
Funkelnde neue Ideen
Ja, ich weiß genau, dass „die neue Idee“ immer so unglaublich wundervoll glitzert. So viel schöner und toller als die, an der du im Augenblick gerade schreibst. Aber das kommt nur daher, dass du von „der Neuen“ nur ihr Potenzial siehst. Du weißt noch nichts von den Problemen, die in ihr stecken und die in jedem Fall auf dich zukommen werden. Plotlöcher, Logiklücken, Spannungsbrüche … das hat sie alles auch. Doch die Probleme, die kennst (bisher) nur von deiner aktuellen Geschichte, weil du dort schon mitten drin steckst und bereits viel drüber nachgedacht hast.
Also: Wenn du es irgendwie hinbekommst, dann schreib deine aktuelle Geschichte zu Ende, auch wenn sie dir noch so sehr auf den Keks geht. Auch wenn du ein halbgares Ende nehmen musst, um es hinzubekommen.
Lerne. Wachse. Benutz es als Sprungbrett und mach es nächstes Mal (noch) besser.
Aber wie soll ich das schaffen?
Da hab ich gleich zwei Rettungsanker für dich, die dir helfen können, deine aktuelle Geschichte zu Ende zu bringen:
1. Notizen machen
Natürlich will die neue Ideen „raus“, sie will sichergehen, dass sie nicht vergessen wird. Deshalb mach Notizen dazu. Ich hab dafür eine designierte „Meine Geschichten Ideen“-Datei in Scrivener. Alle Ideen, die dort leben, fühlen sich sicher, weil sie ganz bestimmt nicht vergessen werden.
Wenn dir das hilft, darfst du der neuen Glitzerfunkelidee auch eine Storybibel schenken und dort sammeln, was du schon über sie weißt (wenn es wirklich gar nicht anders geht).
Es gilt: Mach so viele Notizen wie nötig, damit du für den Augenblick loslassen kannst, aber nur so wenig wie möglich, um Zeit zu sparen. Gerade so viel, dass es reicht, um die Idee zu beruhigen und ihr zu versichern, dass du dich „später“ gebührend um sie kümmern wirst.
Dann nimm diese wartende Idee als Motivation, um deine aktuelle Geschichte so schnell wie möglich zu beenden.
Und jetzt?
2. Finde Lust-Szenen / Leuchtturmszenen
Der erste Entwurf ist immer Mist, darüber haben wir schon ganz oft gesprochen. Natürlich kann es gerade deshalb schwierig sein, ihn zu Ende zu schreiben. Deshalb hilft es, zwischendurch einen Schritt zurückzutreten und dir zu überlegen:
- Was gefällt mir denn an dieser Geschichte eigentlich?
- Warum wollte ich sie so unbedingt aufschreiben?
- Was sind meine absoluten Lieblingsszenen, die einfach (fast) jedem gefallen müssen, wenn sie aufgeschrieben sind, weil sie einfach ultracool sind?
Dann halte dich an diesen Szenen fest, überlege, wie du vielleicht auf ihnen aufbauen oder anknüpfen kannst, vielleicht gibt es ja sogar eine Möglichkeit „mehr davon“ in deiner aktuellen Geschichte unterzubringen.
Du liebst den Nebencharakter, der immer dumme Sprüche reißt? Gib ihm mehr Auftritte. Du findest die „goldene Stadt“ einfach nur faszinierend? Dann breite dich in ihren Beschreibungen aus und fühl dich wohl.
Mach dir keine Gedanken, dass es „zu viel“ werden könnte, du kommst bei der Verbesserung zu dieser Stelle zurück und kannst sie kürzen, aufteilen oder ganz streichen.
Hauptsache, du bleibst dran und schreibst deine Geschichte zu Ende, um daraus zu lernen, zu wachsen und gleich mit der nächsten beginnen zu können.
Denn du bist im Training! Das hier wird kein halbgarer Versuch, das ist ein weiterer Schritt auf deinem Weg zum Schriftsteller-Werden 😉
Also halte durch, sammle Erfahrungen und starte durch, damit deine Glitzerfunkelidee nicht zu lange auf dich warten muss.
Jetzt du!
Du hast auch eine Glitzerfunkelidee? Erzähl uns davon in den Kommentaren. Was wirst du tun, um standhaft zu bleiben?
Du hast schonmal eine Glitzerfunkelidee überwunden und „Ende“ unter eine Geschichte geschrieben? Sag uns in den Kommentaren, wie du das gemacht hast. Hilf anderen, die in derselben Situation stecken, damit sie „ihr Ende schaffen“ und Selbstbewusstsein sammeln für den Kampf gegen die Selbstzweifel, für den Weg zum besseren Ich.
Liebe Grüße und wie immer ganz viel Spaß beim Schreiben
Jacky
PS: Ich arbeite gerade an einem Kurs zum Thema „Plotten“, bzw. „Eine Geschichte effizient zu Ende schreiben“ und „Wie ich 12in12 geschafft habe“. Wenn das interessant für dich klingt, einfach hier anmelden 😉
Kerstin meint
Hallo Jacky,
vielen Dank für diese Hinweise.
Das werde ich gleich nochmal lesen, denn diese verführerischen Glitzerfunkelideen, die mir den Schlaf rauben, kennen ich auch. Und die Überlegung, dass es doch gut wäre, das alte Projekt „reifen“ zu lassen, weil ich gerade im Plottloch stecke.
Bin gespannt, wie es sich anfühlt, ENDE unter eine Geschichte zu schreiben.
Wie motiviere ich mich, sie zu überarbeiten? Lasse ich sie eine gewisse Zeit liegen?
LG Kerstin
Jacky meint
Hi Kerstin,
du kannst sie entweder „verloren erklären“, wie ich das bei dem „blöden Supermann“ gemacht habe, und gar nicht korrigieren. Oder du kannst dich motivieren, indem du dir selbst sagst, dass es eben ein Lernprojekt ist, an dem du wachsen möchtest. Wenn die Geschichte nicht verloren ist, sondern deine Leidenschaft nur neu entfacht werden muss, können dir auch in diesem Fall die Leuchtturmszenen helfen
Ganz liebe Grüße
Jacky
Stefanie meint
Lustig, ich hatte genau das gleiche Problem und habe es damit gelöst, mir die Idee aufzuschreiben. Dabei kommen immer wieder mal Notizen dazu. Meine jetzige Geschichte ist aber inzwischen fertig und in der Überarbeitungsphase. Bei mir hat dieser Trick also super geklappt! 🙂 und die Glitzerfunkelidee bekommt sicher auch noch einen Auftritt.
Jacky meint
Hi Stefanie,
vielen Dank für deinen Kommentar.
Wie schön zu sehen, dass die Methode funktioniert! ☺️
Ganz liebe Grüße und viel Spaß beim Weiter-Überarbeiten und bald beim Glitzerfunkelidee-Schreiben
Jacky
Paula New meint
Hi Jacky,
ich habe auch manchmal so Glitzerfunkelideen, die ich unbedingt in eine Geschichte umwandeln „muss“. Bis vor Kurzem habe ich direkt angefangen diese Geschichten zu schreiben – ohne Plot! –, die wie erwartet nichts wurden. Doch ich nehme mir vor sie ab jetzt ordentlich aufzuschreiben, dann muss die Geschichte leider noch ein bisschen warten – danke für den Tipp!
Ganz liebe Grüße,
Paula New
Tatjana meint
Ich schaffe es, meine Geschichten fertig zu schreiben, weil ich ein Plotter bin und deshalb genau weiß, wo ich hinwill. Natürlich kommen auch mir während des Schreibens bereits Ideen für eine neue Glitzerfunkelgeschichte, aber wie du verfrachte ich sie erst mal in ein Dokument und schreibe meine eigentliche Geschichte erst mal fertig – zwei Geschichten auf einmal wären mir dann doch zu viel!
Die einzigen Schwierigkeiten, die ich habe, sind Ideen für meine *aktuelle* Geschichte – wie gesagt bin ich ein Plotter, aber sehr oft verändern sich trotzdem zentrale Aspekte der Geschichte, die sich nicht immer auf den Rest der geplanten Geschichte übertragen lassen. In so einem Fall fällt es mir schwer, ob ich die Geschichte anpassen soll oder lieber nicht … wobei es natürlich darauf ankommt, wie viel eine neue Idee tatsächlich verändern würde. Hast du dazu vielleicht einen Rat?
Rainer meint
Liebe Jacky,
Danke für deine inspirierenden Artikel und Tipps, die ich mir sehr zu Herzen nehme. Aber – es will mir noch nicht gelingen, die Geschichte(n) zu Ende zu schreiben, denn irgendwie verharre ich gern in meinen Geschichten. Einige sind somit noch „offen“, und wenn mir bei einer Geschichte der weitere Verlauf noch nicht klar geworden ist, schreibe ich bei einer anderen weiter. Und oft passiert es dann, dass mir während des Schreibens an einer anderen Geschichte ein guter Pitchpoint für eine andere Geschichte einfällt, die meistens auch diejenige ist, wo ich das Schreiben kurzfristig unterbrochen habe. Ich gestehe, an einem Roman schreibe ich schon drei Jahre, und immer verändert sich die Geschichte. Wann ich „ENDE“ schreiben kann/werde, ist noch ungewiss. Da sollte ich mich wirklich mal selbst am Riemen reißen. *seufz*
Liebe Grüße aus Wien!
Rainer
Kia Kahawa meint
Oh ja, diese Situationen kenne ich auch sehr gut! Aber was für ein tolles Wort! „Glitzerfunkelidee“! Danke dafür, liebe Jacky!
Martin meint
Spontan stimme ich dir zu, ja, man soll(te) fertigschreiben. Und tatsächlich habe ich drei zu 90% fertige Projekte liegen, zu denen ich zwar das Ende weiß, aber es einfach nicht will.
Bei zwei anderen Romanen kam allerdings das Ende eines Tages hereingeflogen und die sind schon seit Jahren fertig und veröffentlicht.
Fazit: Man sollte sich vielleicht hinterfragen, ob man dazu neigt, generell viel anzufangen und wenig fertig zu machen und die Antwort zur Frage als Anregung zu einer eventuellen Neuausrichtung nehmen. Aber manchmal sind Sachen einfach nicht dran, und sich dann zu verrenken ist genauso kontraproduktiv und nützt der Geschichte sicher nicht.
Jacky meint
Hi Martin,
dass du die Geschichte „jetzt beendest“, heißt ja noch nicht, dass das Ende so stehenbleiben muss. Ob und wann du dich entscheidest, die Geschichte zu lektorieren, ist nochmal eine ganz andere Frage.
Wie im Artikel beschrieben geht es in erster Linie darum, Schwung zu holen, für die nächste Geschichte.
Auf jeden Fall kann ich nach 21 Büchern sagen, dass sich jedes Ende gelohnt hat und dass sich jedes Ende bei der Korrektur noch einmal (mehr oder weniger) verändert hat.
Manchmal macht es Sinn, etwas hinzuschreiben, von dem man weiß, dass es nicht so bleiben wird. Einfach, damit etwas da steht und vielleicht sogar, damit du rausfindest, was du nicht möchtest.
Oder, damit du herausfindest, dass das, von dem du dachtest, dass es „falsch“ ist, doch genau das Ende ist, was die Geschichte braucht.
Alleine durchs Aufschreiben kannst du so viel über deine Geschichte lernen
Ganz liebe Grüße
Jacky