Bei der Diskussion zu „Kritik ertragen“ kam die Frage auf: Wie sieht eine gute (im Sinne von konstruktive) Kritik aus?
In diesem Beitrag möchte ich mich ausführlich damit beschäftigen, immer unter der Annahme, dass die Kritik von einem geneigten Leser gemacht wird.
Andere Kritik anzunehmen wäre nichts weiter als Zeitverschwendung. Im Weiteren werde ich davon ausgehen, dass du derjenige bist, der die Kritik übt. Denn wenn du welche bekommen möchtest, ist es immer ratsam mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Distanz
Du solltest dich in einer neutralen Ausgangslage befinden. Weder Trauer, Wut noch Freude oder geistige Höhenflüge sollten dich übermäßig in deinem Urteil beeinflussen.
Am aller Wichtigsten aber ist, dass du dich völlig von der Person distanzierst, die das Werk verfasst hat. Alles was du im Kommenden sagen, denken, vermuten oder meinen wirst, hat nichts mit dieser Person zu tun, sondern nur mit den Worten auf dem Papier (respektive Bildschirm).
Mach dir von Anfang an klar, dass du nicht den Charakter des Schriftstellers beurteilst sondern nur eine Geschichte. Am einfachsten funktioniert das für mich, wenn ich mir vorstelle, dass die Geschichte, die ich mir gerade zu Gemüte führe, von einem bekannten Autor stammt, dessen Name mir gerade nicht einfallen möchte.
Dadurch spreche ich dem Verfasser die Fähigkeit zu, schreiben zu können, setze aber keine Erwartungen in das Genre oder den Stil.
Erwartungen zügeln
Natürlich solltest du deine Erwartungen auch nicht zu hoch ansetzen. Es wird kein Welterfolg sein den du gleich liest. Selbstverständlich kannst du dich irren, dass wäre dann eine besondere Freude, aber in den meisten Fällen wäre diese Hoffnung einfach nur hinderlich.
„Ach ist das schön!“
Zugegebener Maßen ist das wohl einer der Sätze die ein Schriftsteller am liebsten hört. Aber gleichzeitig ist es auch eine vollkommen nutzlose Kritik.
Kritik muss nicht unbedingt positiv sein um dem Verfasser zu helfen. Aber eine einfache Aussage über dein Ge- oder Missfallen ist in etwa so sehr eine konstruktive Kritik, wie ein Gummibärchen als Festbankett durchgeht.
Solche Sätze gehören damit zu den absoluten „Geht nicht„-Sätzen in einer Kritik.
Die großen Drei: Was? Warum? Wie sonst?
Diese drei Fragen sind das Maß aller Dinge. Wenn du Kritik übst sollst du sagen ob sie gut oder schlecht ist und zwar, indem du eben diese Fragen ausführlich beantwortest. An einem Beispiel siehst du das am Besten:
Pro:
„Ich finde es gut (Was?), dass Emma nur darüber nachdenkt, ob sie Paul mögen könnte (Warum?), weil dadurch länger offen bleibt ob sie ihn wirklich mag, und weil er nichts davon weiß, das erzeugt Spannung. (Wie sonst?) Das kannst du beim nächsten Mal wieder so machen, oder es noch verbessern indem du die Auflösung noch ein wenig herauszögerst, oder indem Emma die Zweifel ihrer Freundin Katharina erzählt, was noch mehr Spannung birgt, weil die es weiter sagen könnte“
Contra:
„Ich finde es nicht gut (Was?), dass du mit dem Wetter angefangen hast (Warum?) , das ist total langweilig, jede Geschichte könnte so anfangen, ich habe gar keine Lust weiter zu lesen (Warum?), weil sich mir gar keine Fragen stellen, ich weiß nicht um wen es geht und wo ich mich befinde. (Wie sonst?) Du könntest mit dem zweiten Absatz anfangen, da geht es direkt zur Sache und ich werde gleich in die Situation hinein geworfen. Oder du fängst mit dem zweiten Kapitel an und setzt diesen Teil weiter nach hinten.
Jetzt überleg dir, wie viel diese Kommentare wohl ohne die drei großen Fragen gebracht hätten. Nichts!
Sei positiv
Man könnte meinen, dass an negativer Kritik nichts positives zu finden ist, aber das ist schlichtweg falsch. Denn eigentlich ist es gerade die negative Kritik die dir weiter hilft. (Obwohl positive Kritik enorm wichtig ist zu verstehen, was du wiederholen kannst).
Aber hier ist es wie immer im Leben: Der Ton macht die Musik. Sag also „Dieser Teil ist schon ganz gut, es wäre noch besser wenn …“ oder „Mir hat sehr gefallen wie du … weil … dafür war … noch nicht ganz ausgereift weil … , du könntest vielleicht …“
Je mehr du die Dinge positiv formulierst, desto eher wird der Verfasser geneigt sein, deine Kritik anzunehmen.
Samthandschuhe sind sicher nicht jedermanns Sache und je besser du den Autor kennst desto eher wirst du entscheiden können, wie direkt du sein kannst ohne eine Trotzreaktion herauszufordern. Am einfachsten ist, wenn du eine Erklärung vor weg gibst, die deine Meinung zum Verfasser eindeutig von deiner Meinung zu der Geschichte trennt. (Was aber leider nicht in jedem Fall hilft)
Generell solltest du aber immer höflich bleiben. Schließlich geht es nicht darum ihm zu zeigen wie schlecht er ist. Sondern es geht immer nur darum ihm zu helfen besser zu werden.
Ich, ich, ich …
Die meisten Menschen vermeiden gerne die „Ich-Perspektive“. Sie fühlen sich dadurch angreifbar. Aber auch der Autor hat sich angreifbar gemacht, indem er dir sein Herzblut, sein Werk gezeigt hat.
Bei einer Kritik ist die „Ich-Perspektive“ gerade deshalb wünschenswert, sozusagen als Gegenleistung. Außerdem macht sie deutlich, dass das gesagte nur eine Meinung ist. Steh zu dem was du sagst und gib dem Verfasser so die Chance deine Vorschläge nur als eine Möglichkeit, nicht aber als „die Lösung“ zu betrachten.
Mehr ist mehr
Der Volksmund sagt „weniger ist mehr„. Nun zumindest bei konstruktiver Kritk liegt er da nicht ganz richtig. Wenn du jemanden kritisierst, dann solltest du ihm immer wenigstens zwei Möglichkeiten nennen, wie er es hätte besser machen können. Denn meistens ist ein Autor genau so blind für die Schwächen seines Werkes, wie Eltern für die Fehler ihrer Kinder.
Zeigst du ihm aber mehrere Möglichkeiten auf, wie er das Hindernis umschiffen kann, besteht eine gute Chance, dass ihm davon etwas zusagt. So steigerst du die Chancen auf jeden Fall enorm, dass er zumindest bereit ist über ein „nee ich weiß selbst noch was besseres“ nachzudenken.
Die drei goldenen Regeln
Wer die Schreibwerkstatt besucht, der kennt sie schon, die drei Goldenen Regeln. Sie besagen:
Kritk sollte immer höflich, ausführlich und konstruktiv vorgebracht werden, damit sie dem Verfasser weiter helfen kann.
Mein Leitsatz ist: Versuch so zu kritisieren, dass du selbst etwas mit der Kritik anfangen könntest, wären die Positionen von Verfasser und Kritiker vertauscht.
Wie muss bei dir konstruktive Kritik aussehen?
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