Heute mal eine kleinere (oder größere) philosophische Betrachtung.
Wir kennen sie alle. Die perfekten Liebhaber aus den Liebesromanen. Egal ob Männlein oder Weiblein, der Protagonist trifft im Laufe des Romans seinen Seelenverwandten, sie verlieben sich, sie überwinden einige Hindernisse und sie bekommen einander.
Mit einem „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ (oder einem moderneren Äquivalent), läuft die Geschichte in ein wunderschönes und immerwährendes Happy End aus.
Perfekte Menschen
In solchen Geschichten sind die Protagonisten, insbesondere aber „die bessere Hälfte„, immer absolut perfekt. Gut, vielleicht haben sie einen Schuhtick oder lassen gerne ihre Socken herumliegen. Aber sie alle haben gemeinsam, dass sie kontinuierlich bis über beide Ohren verliebt sind, ständig zärtlich und bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen immer gut gelaunt.
Die Realität
Mal ehrlich: Wer kann von sich behaupten, genau so zu sein?
Ich meine abgesehen davon, dass nicht jeder Mann ein zärtlich, starker, immer gutmütiger Adonis und nicht jede Frau ein 1,60m großes, sportliches 90/60/90 Model mit hübschem Gesicht und überragendem Intelligenzquotienten, Witz, Charme und Esprit sein kann. Auch die geistige und emotionale Ausgeglichenheit, die in den meisten Romanen an den Tag gelegt wird, ist schlichtweg unmöglich.
Wenn ich selbst diese Standards erfüllen müsste, ich wäre heillos überfordert. Ich halte mich schon für einen sehr positiven Menschen, aber manchmal, da hab auch ich ein armes Tier*, da hasse ich es einkaufen zu gehen oder bin zum Streiten aufgelegt.
*armes Tier = unbegründete Traurigkeit oder schlechte Laune.
Ewige Liebe
Ganz besonders die immerwährende, ständig gleich bleibende Liebe, die existiert nicht. Ich will damit auf keinen Fall sagen, dass man nicht ein Leben lang miteinander glücklich werden kann (ganz im Gegenteil ), aber Beziehungen verändern sich, Gefühle verändern sich, ganz genau so wie die Menschen, die zusammengehören, sich verändern. Das muss gar nichts Schlechtes sein, mit der Zeit lernt man sich eben besser kennen, da müssen sich die Gefühle sogar verändern (manchmal zum Guten, manchmal zum Schlechten).
Und zwischen allen Menschen gibt es Reibungen, Spannungen und Streit, aber auch Gemeinsamkeiten, Zuneigung und Versöhnung. Das sind alles Dinge, die zum täglichen Leben dazu gehören. Ich kann mich aber kaum an die letzte Geschichte erinnern, wo etwas in der Richtung vorgekommen ist.
Friede, Freude, Eierkuchen, so heißt die Devise.
Versteh mich nicht falsch, ich mag diese Harmonie, ginge es nach mir, dann hätten sich alle Menschen lieb und wenn ich so eine richtig schöne Liebesschnulze lese, dann ist es eigentlich genau das, was ich lesen möchte.
Traum-Männer und Traum-Frauen
Ich hab mich schon ein paar Mal dabei erwischt, wie ich mir so einen Traum-Mann (die Rechtschreibung ist Absicht, weil es sich um Männer handelt, die nur im Traum existieren) gewünscht habe und mir dann ernsthaft selbst erklären musste, dass es so jemanden nirgendwo auf der Welt gibt.
Denn, ganz egal wie sehr man jemanden liebt, es wird immer mehr als einen Punkt geben, in dem ich man nicht übereinstimmt. Es wäre auch wirklich seltsam, wenn es anders wäre.
Schürt das nicht unerreichbare Erwartungen?
Ich hab letztens einen Bericht gesehen, in dem es darum ging, dass die Models, Stars und Sternchen auf dem Cover von Zeitschriften, in der Werbung und in Videos, alle „gephotoshopt“ werden, soll heißen, ihre Augenringe werden retuschiert, ihre Falten versteckt, ihre Rundungen reduziert, so dass am Ende ein Schönheitsideal entsteht, das in der Realität gar nicht erreicht werden kann (weil das Bild nicht in der Realität entstand, sondern in einem Computerprogramm). In etwa so wie Barbie, die so dünn ist, dass man nicht mal mit viel gutem Willen alle lebensnotwendigen Organe in ihrem Körper unterbringen könnte, wollte man ihr Leben einhauchen.
Auf jeden Fall war in dem Bericht eine Frau, die tatsächlich das „Photoshoppen“ von Bildern verbieten wollte, um junge Mädchen davor zu bewahren, sich unerreichbare Ideale anzueignen. Ihr Standpunkt lautete sinngemäß:
„Wissen die Mädchen, dass die Bilder retuschiert wurden? Ja, sie wissen es. Aber ist ihnen das auch bewusst, wenn sie nach diesen Idealen streben? Nein, sie sehen nur das, was sie gerne sein möchten, ohne es jemals erreichen zu können.“
Erst einmal vorweg, ich will das „photoshoppen“ nicht verbieten und ich habe auch nichts gegen Liebesromane (egal ob schnulzig oder nicht). Aber in diesem Zusammenhang bin ich doch ins Grübeln geraten:
„Wissen die Leser, dass es so eine perfekte Welt nicht gibt? Dass sie niemals so einen Traum-Partner finden können?“
Natürlich können sie sich verlieben und alles, aber es wird niemals nur, nur, nur Friede, Freude, Eierkuchen sein (verstehst du, was ich meine?).
Und wenn sie es wissen, ist es ihnen dann auch bewusst, wenn sie auf die Suche gehen. Oder ist da nicht doch in jedem von uns diese winzige Stimme, die ruft „Aber ich will eine/n Jeanne/Edward/Jacob/Harry/Pamela/Hale …„.
Und wenn diese Stimme existiert, ist es dann nicht unfair von ihr, ganz stink normale Menschen mit diesen Fantasiegebilden zu vergleichen?
Schließlich kann ich niemals so perfekt sein, wie eine Romanfigur, egal wie sehr ich mich anstrenge, genauso wenig, wie ich meine Gebärmutter zusammen mit meiner Leber und meinen beiden Nieren spenden kann, um so dünn zu werden wie Barbie.
Diskussion
Was sagst du zu dem Thema? Wecken Geschichten in uns unerfüllbare Erwartungen? Wissen die Leser, dass es solche Menschen nicht gibt? Ist es den Lesern auch bewusst? Oder ist das alles völliger Humbug, über den man sich keine Gedanken machen sollte? Sollten Geschichten und Charaktere genau so sein? Oder sollten wir mehr Realität in unsere Geschichten einbauen? Hast du dich schon einmal in (d)eine Romanfigur verliebt? Findest du das bedenklich/normal/herrlich?