Wenn du einen Menschen triffst, ist das erste Beurteilungskriterium sein Äußeres. Menschen fällen ihr Urteil meist in den ersten drei Sekunden. Kein Wunder also, dass es ein so wichtiger Punkt in der Charakterentwicklung ist.
Deshalb geht es im dritten Teil dieser Serie genau darum. Was hat dein Charakter für einen Stil und was für einen Eindruck vermittelt er?
Der erste Eindruck
Schließ die Augen, denk an irgendetwas, … den Zoo, deine Mutter, eine Kneipe, dein Frühstück, irgendwas. Dann, wie beim zappen im Fernsehen, schalte ganz plötzlich auf deinen Charakter um. Was ist das allererste, was dir durch den Kopf schießt?
Ich weiß, dass du noch keine genaue Vorstellung von ihm hast. Aber das brauchst du auch nicht. Es ist nur der erste Eindruck, den du von ihm hättest, wenn du ihm zufällig begegnen würdest.
Georg Sandman
ist ein absolut Typischer Geschäftsman. Als allererstes denke ich an einen dunkel blauen Anzug und an spiegelnd blanke, schwarze Schuhe, verdammt unnahbar.
Gerade in dieser Phase ist es wichtig, dass du nicht irgendein, sondern genau das richtige Wort benutzt.
Auf der Straße
Angenommen du gehst durch eine belebte Einkaufspassage. Dein Charakter kommt dir entgegen, und geht an dir vorbei. Was denkst du? Kümmer dich nicht darum, ob er jemals durch eine Fußgängerzone laufen würde, selbst wenn er ein Alien von Betaguez ist, lass ihn durch diese Straße gehen. Was ist das erste, an das du denkst?
Möchtest du mit ihm sprechen? Ist er sympathisch? Fällt er auf wie ein bunter Hund? Würdest du ihm lieber nicht im Dunkeln begegnen?
Georg Sandman
Würde er durch eine Fußgängerzone laufen, dann gewiss im Eilschritt, ein Aktenkoffer in der Hand, ein Handy am Ohr. Er würde auf nichts achten und jeden anrempeln, der ihm in den Weg kommt. Nein, das macht ihn ganz und gar nicht sympathisch, eher abweisend.
Seine Wohnung auf den ersten Blick
Angenommen du könntest mit einer kleinen Kamera genau eine Sekunde in seine Wohnung gucken. Die Kamera bewegt sich in dieser Sekunde durch alle Zimmer und ist damit so schnell, dass du keine einzelnen Möbelstücke ausmachen kannst, geschweige denn die Titel auf Buchrücken entziffern.
Wie wirkt die Wohnung auf dich? Ist sie groß oder klein? Geräumig oder winzig? Ist sie hell und schlicht oder dunkel und voll gestellt? Benutze auch deine anderen Sinne. Ohne lange nachzudenken: Wie riecht es? Fühlst du dich wohl? Würdest du vom Boden essen?
Georg Sandmans Wohnung
Ein großes Appartement. Kühl. Viele weiße Wände, hohe Fenster. Schlicht, modern, schwarze Möbel. Es riecht eigentlich nach gar nichts, vom Boden könnte ich wohl essen, aber wohl fühlen würde ich mich trotzdem nicht. Allerdings ist die Aussicht phänomenal.
Wo kannst du ihn dir am ehesten vorstellen?
Es gibt Menschen, die passen einfach in ein Büro und andere tun es nicht. Es gibt solche die gehören in Einkaufspassagen oder in Krankenhäuser, Andere in Spelunken und Spielsalons.
Wo siehst du deinen Charakter, wenn du an ihn denkst? Mach aus dem Stehgreif eine Liste. Schreib fünf Orte auf, an denen du dir deinen Protagonisten ohne Probleme vorstellen kannst. Schreib auch kurz dazu, mit wem er sich an diesem Ort aufhält.
Im Augenblick ist dein Charakter noch dicht an einem Stereotyp, wenn dir nur ein Ort einfallen will, dann lass die anderen Punkte vorerst offen. Mach dir ein Zeichen, dass hier noch etwas fehlt.
Georg Sandman:
1. In seinem Büro
2. In einem schicken Restaurant
3. In seinem Bett
4. Auf einem Gala-Abend
5. Im Flugzeug
Was tut er dort?
Wenn ich an einen Charakter denke, tut er meistens irgendwas. Er steht nicht wie eine Schaufensterpuppe steif da, sondern er bewegt sich. Er interagiert mit anderen Menschen.
Nimm dir die fünf Orte vor: Was tut er dort? Ist er alleine? Ist er still? Ist er auch geistig anwesend? Wie fühlt er sich? Bzw. wie denkst du, dass er sich fühlt, wenn du ihn so siehst?
Georg Sandman
1. In seinem Büro, alleine, diktiert seiner Sekretärin, oder steht bei einer Besprechung vorne um sein Projekt zu präsentieren
2. In einem schicken Restaurant mit einer hübschen Blondine, oder aber bei einem geschäftlichen Meeting mit japanischen Kunden
3. In seinem Bett arbeitend mit dem Laptop, alleine schlafend, oder beglückt die elegante Blondine aus dem Restaurant
4. In hübscher Begleitung auf einem Gala-Abend um geschäftliche Kontakte zu pflegen
5. Mit seinem Partner im Flugzeug auf Geschäftsreise
Aussehen
In der Geschichte selbst bin ich generell eher gegen Charakterbeschreibungen. Warum dem Leser nicht erlauben seiner Fantasie freien Lauf zu lassen? Dadurch hat er platz sich die Figur selbst sympathisch zu machen. Denn nur weil ich Stupsnasen, Ringelsocken oder Muttermale sexy, cool oder hinreißend finde, muss es dem Leser ja nicht so gehen.
Ich finde es scheußlich, wenn ich einen Charakter gerade erst kennen lerne, und plötzlich bekomme ich eine Kleiderschrankaufzählung, dadurch wirst du nur aus der Geschichte raus gerissen.
Deshalb ist für mich weniger auch mehr. Meistens. Wenn schon, dann so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig um deinem Leser die größtmöglichen Spielraum zu lassen. Nichts desto trotz musst du selbst genau wissen, wie dein Charakter aussieht.
Haare und Augen
Okay, die übliche Charakterbeschreibung sieht in etwa so aus: „Er hatte blonde Haare und blaue Augen„. Toll. Einfach gesagt: Das ist gar keine Beschreibung.
Das hilft mir als Leser überhaupt nicht weiter. Besonders wenn es mehr als einen Charakter gibt und alle auf diese Weise beschrieben werden, weiß ich nachher sowieso nicht mehr, welche Haare-Augen-Kombination zu wem gehört hat. Ich fordere dich hiermit also aktiv auf das nicht hin zu schreiben. Wissen musst du es trotzdem. Also: Haarfarbe? Augenfarbe?
Georg Sandman
Schwarze Haare, blaue Augen
(mal ehrlich könntest du ihn dir dadurch vorstellen?)
Gesicht und Körperbau
Bevor es ans Eingemachte geht, solltest du dir kurz überlegen, von welcher Nationalität dein Charakter ist, weil das drastische Auswirkungen auf Form und Farbe des Körpers hat.
Jetzt also an die Details: Wie sieht sein Gesicht aus? Ist es lang und schmal oder grob und kantig? Hat er eine Stupsnase oder einen dicken Zinken? Stehen die Augen zu eng, sind sie klein oder groß? Wie sind seine Lippen geformt und seine Ohren? Sind die Ohrläppchen angewachsen? Was hat er für eine Frisur?
Jetzt stell dir deinen Charakter nackt vor. Diesmal ist er wirklich nur eine Schaufensterpuppe, es geht nur um seinen Körper. Er steht ganz steif da und du kannst ihn von allen Seiten betrachten. Hat er breite Schultern oder schmale? Ist er mit Muskeln bepackt oder hat er einen Bierbauch? Hat er einen Knackpo oder einen Hängear***?
Du solltest dir auch überlegen wie groß und wie schwer dein Charakter ist.
Und ja, wenn er ein Kerl ist, dann musst du wissen wie lang sein bestes Teil ist. Handelt es sich um eine Frau brauchst du ihre Körbchengröße. Warum? Das hat alles Auswirkung auf das Selbstbewusstsein und die Akzeptanz in der Gesellschaft. Aber dazu in späteren Teilen mehr.
Georg Sandman
Nationalität: Europäer, beide Elternteile Deutsche, seine Haut also hell, aber nicht krankhaft blass. Er ist 1,80m groß, also oberes Mittel. Er ist sportlich aber nicht muskulös, so mehr auf Ausdauer, also kein schlacksiges Knochengestell, vielleicht ein Jogger. Er wiegt so um die 70kg, also Normalgewicht und hat definitiv einen Knackpo. Er hat recht weiche Gesichtszüge, aber ein markantes Kinn und eine verhältnismäßig große Nase (nicht zu groß). Seine Ohrläppchen sind nicht angewachsen, seine Augenbrauen recht kräftig aber nicht buschig, seine Wimpern verdammt lang. Seine Oberlippe ist eher schmal, seine Unterlippe fast doppelt so dick, weich und rosig. Sein Haar ist im üblichen Geschäftsmannstil, ohne Gel, kurz gehalten. Intim ist er recht gut bestückt und liegt knapp unter dem Durchschnitt. Im großen und Ganzen wird er als sehr gut aussehend empfunden.
(Wenn ich das in einer Geschichte geschrieben hätte, wärst du wohl schon eingeschlafen, oder?)
Wie zieht er sich an?
Jetzt wo du seinen Körper etwas besser kennst, was trägt er um ihn zu verhüllen? Trägt er Hautenge Shorts um seinen Po oder ihren Busen zu betonen? Zieht er nur weite T-Shirts an um seinen Bierbauch oder seinen Bizeps zu verstecken? Lange Hosen oder Röcke? Hemd oder Pullover? Turnschuhe oder Absätze? Du musst es wissen, du bist heute Gott.
Georg Sandman
Der dunkel blaue Anzug ist Standard. Dazu ein weißes Hemd und eine, in verschiedenen Blautönen gemusterte Krawatte (meistens Streifen oder simple Muster, nichts schrilles oder auffälliges). Dazu verdammt teure, gut gepflegte, schwarze Lederschuhe, rahmengenäht, Oxford geschnürt, handgefertigt. Schwarze Unterhosen (keine Boxershorts), schwarze Socken.
Schmuck
Das wird nicht auf jeden Charakter zutreffen, aber die meisten Menschen tragen Schmuck. Sei es nun ein Ohrring oder ein Ganzkörpertattoo dazwischen gibt es alle Abstufungen. Auch keinen Schmuck zu tragen ist ein Statement. Wie sagte ein berühmter Psychologe so treffend: „Du kannst nicht nicht kommunizieren„.
Georg Sandman
Er trägt eine Silberne Uhr am linken Handgelenk (Omega, Seamaster, Aqua Terra Chronometer), eine schlichte, silberne Krawattennadel und dazu passende Manschettenknöpfe. Ansonsten trägt er keinerlei Schmuck (es sei denn man betrachtet seine Aktentasche und seinen Pager als solche).
Das besondere Merkmal
Jetzt hast du eigentlich alles durch. Du weißt wie dein Charakter aussieht und wie er auf den ersten Blick auf Andere wirkt. Wenn du deinem Leser aber das alles bei erster Gelegenheit vor den Latz knallst wird er entweder einschlafen oder dich in deinen Alpträumen heimsuchen.
Das sind zwar alles Dinge, die du wissen musst, damit dein Charakter am Ende eine Chance hat glaubwürdig rüber zu kommen. Aber deinen Leser interessiert es einen feuchten Kehricht. Darum überlege dir nun ein besonderes Merkmal deines Charakters. Das wird ab jetzt sein Erkennungsmerkmal, sein Markenzeichen. Bei Harry Potter ist es die Narbe auf der Stirn und das wüste schwarze Haar. Was ist es bei dir?
Georg Sandman
Die Armbanduhr. Sie sagt einfach alles über ihn aus. Sie ist schlicht, aber funktional, sie sieht schick aus, wirkt aber nicht überladen, sie ist teuer, aber nicht protzig (keine Rolex). Außerdem beschreibt sie perfekt einen Geschäftsmann (Zeit ist Geld).
Alle Gelegenheiten
Ich nehme an, nun weißt du ziemlich genau, wie dein Charakter im Alltag aussieht, oder eben in seinem häufigsten Zustand. Aber was trägt er, wenn er ins Büro geht? Wie sieht er auf einer Party aus? Wie kleidet er sich wenn er zu Muttern zum Essen eingeladen ist? Was trägt er nachts im Bett? Wie sieht sein Outfit aus wenn er Sport treibt?
Es wird immer wieder die ein oder andere Gelegenheit geben bei der dir auffällt „Oh an die Möglichkeit habe ich gar nicht gedacht„. Dann komm einfach zu diesem Punkt zurück, lies dir deine Notizen noch einmal durch und dir wird sicher etwas einfallen.
Georg Sandman
Beim Joggen: Jogginganzug in taubengrau
Freizeit: Beige Stoffhose, weißes Hemd
Im Winter: Schwarzer, knielanger Mantel, beiger Schal, Lederhandschuhe
Ausgehen: Siehe Arbeit
Schlafen: Hell Beiger Anzug oder nackt
Aufgabe: Charakterbogen
Wie schon gesagt sind das alles Dinge die du wissen musst, vor Allem aber dürfen sie sich während der Geschichte nicht ändern. Deshalb habe ich für jeden Charakter einen eigenen Charakterbogen. Das ist ein Blatt (oder ein Textdokument) in dem all seine Eigenschaften, sein Aussehen und seine Charakterzüge drin stehen.
Jeder Schriftsteller hat seine eigene Methode Schema mit der er zurecht kommt. Ich will dir da keine Form aufzwingen. Wichtig ist nur, dass du es überhaupt aufschreibst. Deshalb ist die Aufgabe für nächstes Mal, schreib auf einem Blatt oder einem Medium deiner Wahl, einen Charakterbogen.
Wir sehen uns nächstes Mal mit einem feschen Charakterbogen wieder. Wie sieht dein Charakter aus? Trägt er Markenklamotten, ist er stylisch oder eher leger? Diskutiere deinen ersten Eindruck hier.
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