Ich hab ja schon gesagt, dass ich den NaNoWriMo dieses Jahr zum Korrigieren nutze (weshalb der November weiterhin sehr NaNo-Artikel lastig wird, das hört im Dezember wieder auf 😉 ).
Die ersten 30 Seiten sind schon seit einer Weile so richtig fertig korrigiert, mit der ersten Probeleserkorrektureinbindung bin ich zu knapp 60% fertig und ich hab schon einiges an Kritik eingesteckt und umgesetzt.
Allerdings gab es immer wieder Punkte, bei denen ich mir gedacht habe „aber das soll genau so sein“ (die gibt es immer noch und das ist gut so s.u.). Trotzdem hat es gestern irgendwann „klick“ gemacht. Ich habe festgestellt, dass ich keine wirklichen Verbesserungen vornehmen kann, wenn ich emotional noch an einer vorherigen Entscheidung (Formulierung) hänge.
Ich meine, schließlich habe ich die Entscheidung (Formulierung) getroffen, weil sie mir richtig vorkam und jetzt kommt ein Probeleser daher und sagt mir ich soll das ändern. Das geht überhaupt gar nicht, weil ich ja denke, das Richtige getan (geschrieben) zu haben.
Das würde aber bedeuten, dass eine Korrektur überhaupt keinen Sinn macht, denn: Verbesserungen sind nur möglich durch Flexibilität und Offenheit. Wie gesagt habe ich bereits eine Menge verbessert, aber manche Dinge habe ich immer wieder übersprungen, obwohl sie häufiger angekreidet wurden.
Starrheit
Starre Dinge können sich nicht verbessern, weil sie sich nicht ändern. Ein Stein, der fast aussieht wie Chuck Norris (bei 1:58 Minuten), wird niemals ein „besserer“ Chuck Norris werden (höchstens durch Erosion innerhalb von Jahr Millionen).
Bei Knete sieht das schon ganz anders aus. Die ist weich und formbar. Mit wenig Anstrengung und der Hilfe von guten Kritikern lässt sich da sehr leicht ein, mehr als nur passabler, Chuck Norris formen. Sogar aus etwas, das zu Anfang vielleicht eher Godzilla geähnelt hat.
Emotionale Abhängigkeit
Ich hätte vermutet, dass ich, nach all der Zeit, die ich nun schon mit meiner Geschichte verbringe, genug emotionalen Abstand von meiner Geschichte habe, um Kritik flexibel anzunehmen und bei Bedarf umzusetzen. Dass das nicht so ist (zumindest nicht in dem Maße, wie ich mir das eingebildet habe), musste ich gestern schmerzlich feststellen.
Ich saß vor meiner Geschichte, habe sie laut vorgelesen und dann kam ein Monster. Also nicht innerhalb der Geschichte, sondern als Satz kam es daher. Es war ein ellenlanger Satz, bestimmt vier Zeilen lang und ich dachte mir nur „Himmelherrgottnocheins was hab ich mir nur gedacht, als ich den geschrieben habe?“ Und genau in diesem Augenblick wurde mir klar, was Probeleser Nr.6 aus Runde 1 meint, wenn er sagt, dass ihm meine Sätze teilweise zu lang sind.
Ich weiß immer noch nicht genau, wieso ich so lange gebraucht habe, um das zu checken.
Fehlbarkeit annehmen
Soweit ich weiß (und hoffe), gibt es zum Glück nicht sooo besonders viele dieser „Bandwurmsätze“ in meiner Geschichte, die ich bisher für pure Lyrik gehalten habe. Aber es ist schon erschreckend, was für ein Monster es gebraucht hat, um mich zu wecken. Das war übrigens auch das erste Mal, wo mein (hmmm ich nenne es mal) „Selbstbewusstsein“ angefangen hat zu bröckeln und ich auch über andere, wiederkehrende Anmerkungen nachgedacht habe. So habe ich mich zum ersten Mal ernsthaft gefragt: Sind diese Dreifachadjektive, die ich zwischendurch gerne benutze, wirklich notwendig? Ist das tatsächlich mein Stil? Oder einfach nur nervtötend?
Und als mir dann auch noch ein Zitat aus „The first Five Pages“ (von Noah Lukeman) einfiel, wo es heißt:
„Stil ist meistens, wenn die Form dem Inhalt in den Weg kommt.“
Da war es dann endgültig um mich geschehen: Die Nabelschnur war durchgeschnitten. Ich habe mich davon gelöst, dass jedes Wort „ich bin„, dass jedes Wort „meine Geschichte ist„.
Wörter sind austauschbar, ersetzlich und dadurch, dass ich ein paar davon streiche, wird meine Geschichte nicht weniger meine Geschichte. Im Gegenteil, ich kann sie dadurch sogar besser machen.
Die Löschtaste und die Punkttaste lassen sich plötzlich viel leichter bedienen und ich vage zu behaupten, dass meine Geschichte sich dadurch von Stein in Knetgummi verwandelt hat.
Muss ich alle Änderungen annehmen?
Nein. Das will ich damit überhaupt nicht sagen. Es geht viel mehr darum, genug emotionale Distanz aufzubauen, um ernsthaft bereit zu sein, deine Geschichte zu verändern.
Du musst nicht sämtliche Änderungsvorschläge annehmen, um das zu erreichen, aber du musst sie ernsthaft in Erwägung ziehen.
Wie kann ich mich abnabeln?
Das ist eine verdammt gute Frage. Ein paar Ideen, was vielleicht funktionieren könnte:
- Abstand gewinnen: Deine Geschichte für ein paar Wochen oder sogar Monate in eine Schublade verfrachten und nicht mehr angucken. Das ist generell ein guter Ratschlag und besonders gut gegen Betriebsblindheit, aber wirklich geholfen hat das bei mir nicht.
- Probeleser engagieren: Lass dir von anderen Leuten sagen, was an deiner Geschichte nicht stimmt. Dummerweise hilft auch das nichts, wenn du zu sehr an deiner Geschichte hängst. Dann siehst du einfach nicht ein, dass sie recht haben (bzw. wird es dir schwerfallen, die Vorschläge, die recht haben, von denen zu unterscheiden, die „nur“ subjektive Ansichten vertreten).
- Selber nach Fehlern suchen: Bei mir war es das Satzmonster, das mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat. Das hab ich aber auch nur gefunden, weil ich immer wieder drauf hingewiesen worden bin und weil ich laut gelesen habe.
- So tun als ob: Tu so, als hättest nicht du deine Geschichte geschrieben und sei der kleinkarierteste Probeleser der Welt. Auch das ist leichter gesagt als getan. Im Hinterkopf wirst du immer wissen, dass du die Geschichte geschrieben hast.
Alles gute Ansätze und alles Dinge, die ich zwar nicht aktiv ausprobiert habe (ich wusste ja nicht, dass ich noch so sehr an meiner Geschichte hänge) von denen ich mir aber auch nicht sicher bin, dass sie geholfen hätten, wäre ich auf die Idee gekommen sie auszuprobieren (hast du es ausprobiert? Hilft es bei dir?).
Wo kam die Erkenntnis her?
Ich hab jetzt schon die ganze Zeit darüber nachgedacht, wieso es bei mir letztendlich klick gemacht hat. War es wirklich nur dieses Satzmonster? Oder was brauche ich wirklich, um mich abzunabeln?
1. Eingeständnis
Ich denke zu allererst ist es wichtig, dir klarzumachen, dass du noch an deiner Geschichte hängst, und zwar mehr, als du glaubst. Ich meine, versuch mal hinzugehen und irgendein Kapitel zu streichen, komplett zu streichen. Geht nicht, oder?
Was ist mit einer Szene? Unmöglich.
Einem Absatz? Keine Chance.
Ein einziger Satz? Ganz vielleicht – ach nein, doch nicht.
Aha! Siehst du: Du hängst an deiner Geschichte, ganz genau so, wie sie ist! Und solange das so ist, wird es sehr schwer werden, sie wirklich zu verbessern. Sie ist ein Stein! Mach Knetgummi aus ihr.
2. Fehlersuche
Dass du dir klargemacht hast, dass sie Stein ist, war der erste Schritt.
Ich denke, am besten und einfachsten dürfte es sein, jetzt selbst nach Fehlern zu suchen. Finde ein Satzmonster, irgendetwas Großes, Fieses und stell fest: „Jaa, das ist wirklich nicht so dolle.“ Wenn du schon ein paar Probeleser hast, fang am besten mit einer Stelle oder einem Absatz an, wo sich zwei oder drei Leute einig sind, dass irgendetwas nicht stimmt.
Dann schreib diese Stelle neu oder ändere sie auf jeden Fall ab.
Siehst du, war gar nicht so schwer ^^
3. Nicht perfekt
Jetzt musst du dir eingestehen, dass du die Stelle geändert hast, weil sie nicht perfekt war. Sie konnte auch gar nicht perfekt sein, weil du in der ersten Runde ja schlecht geschrieben hast.
4. Einsicht
Als Nächstes musst du einsehen, dass dein gesamter Text nicht perfekt ist. Kann er aus eben erwähntem Grund auch gar nicht sein. Soll er auch noch gar nicht sein. Dafür gibt es ja die Korrektur.
Ich bin schlecht
Nein, bist du nicht. Das ist nicht die Schlussfolgerung, die du ziehen sollst!
Du bist nicht schlecht. Deine Geschichte ist nicht schlecht. Nur deine Formulierungen sind noch nicht perfekt. Für mich wird dadurch aus Stein Knetgummi und einer lebensnahen, atmenden Roundhouse kick Nachbildung von Chuck Norris steht damit nichts mehr im Wege.
Angst
Natürlich gibt es da die Angst, die Dinge zu verschlimmbessern. Generell neigt der Mensch dazu, Angst vor Veränderung zu haben. Aber diese Angst musst du überwinden.
Der Trick ist ganz einfach: Du legst schlicht und ergreifend eine Sicherheitskopie vom aktuellen Stand deiner Geschichte an, die du nie wieder anfasst. Fertig. Schon kannst du immer wieder, innerhalb von wenigen Klicks zum augenblicklichen Stand zurückkehren.
Diskussion
Hältst du deine Geschichte für perfekt? Hast du es schon geschafft dich abzunabeln? Wie hast du das angestellt? Was würdest du anderen raten, die es nicht schaffen, aus Stein Knete zu machen?