Im Artikel über die Charaktertypen haben wir darüber gesprochen, dass Statisten dir helfen, das richtige Ambiente für deine Geschichte zu schaffen. Aber was ist mit den Haupt- und den Neben-Charakteren? Welche Funktionen übernehmen die in deiner Geschichte?
Fangen wir mit den Nebencharakteren an. Im Englischen heißen sie „supporting characters“, also „unterstützende Charaktere“. Ich finde, das beschreibt ihre Funktion wesentlich treffender als das deutsche Wort „Nebencharaktere“, das sie quasi zu einer Nebensache erklärt.
Was ist ein Nebencharakter?
Ein Nebencharakter ist eine Figur, die keine tragende Rolle in der Geschichte übernimmt. Das heißt, sie ist in erster Linie wichtig wegen der Funktion, die sie hat, aber nicht unbedingt wegen ihres individuellen Charakters.
Dabei gibt es bei den Nebenfiguren allerdings große Unterschiede in ihrer Bedeutung für die Geschichte. Je nachdem, ob sie „fast schon Hauptcharakter“ oder „beinahe Statist“ sind.
In jedem Fall gilt aber: Wenn du den Charakter einer Nebenfigur anpasst, hat das zwar “lokale Auswirkungen”, weil sich ja dieser Punkt der Geschichte ändert. Aber es verändert sich nicht die Geschichte als Ganzes – ganz im Gegensatz zu Änderungen bei den Hauptcharakteren.
Sagen wir, du tauschst den Charakter von Harry Potter mit dem von Draco Malfoy. Sofort haben wir eine ganz andere Geschichte, beide sind Hauptfiguren. Wenn du dagegen den Charakter der Maulenden Myrte mit dem von Peeves vertauschst, ändert sich zwar der jeweilige Teilaspekt (auf dem Mädchenklo gibt es viel mehr Unruhe und fliegende Klopapierrollen, dafür findest du auf den Fluren mehr Tränenpfützen und es wird … mauliger), aber die Geschichte als Ganzes beeinflusst der Wechsel nicht. Zumindest, solange beide Figuren immer noch ihre Geschichten-Funktionen erfüllen.
Außerdem erkennst du Nebencharaktere daran, dass sie nicht in jeder Szene auftauchen und häufig nur einen Vor- ODER einen Nachnamen haben. Gelegentlich bekommen sie sogar nur Platzhalter-Namen, die gleichzeitig deutlich machen, wer sie sind bzw. welche Eigenschaften sie besitzen. Z.B. “Mister Nadelstreifenanzug“, „Miss Nasenring“ etc.
Als Beispiel hätten wir da Phil, den Anwalt aus Pretty Woman, oder die berüchtigte Modeladenbesitzerin.
Und wie viele Nebencharaktere brauchst du jetzt?
Das kommt sehr stark auf die Geschichte an und wen du zu den Nebencharakteren zählst. Wenn ich meine Geschichten anschaue, dann tauchen häufig zwischen 5 und 15 Nebencharaktere darin auf.
Insbesondere, wenn du viele Nebencharakter hast, ist es eine gute Idee, dir ihre Funktionen (über die wir gleich noch sprechen) einmal genauer anzuschauen und zu überlegen, ob eine Zusammenlegung auf einen Charakter eventuell Sinn macht.
Das ist kein Muss. Aber du tust dir und dem Leser einen Gefallen, wenn er sich nicht zweihundertsiebenunddreißig Namen merken muss, von Menschen, die du gar nicht gebraucht hättest.
Manchmal ist es auch gar nicht möglich, Funktionen zu übertragen oder auf Figuren zu vereinen, aber wenn du einfach einmal drüber nachgedacht hast, ob so eine Zusammenlegung Sinn macht, hab ich mein Ziel schon erreicht. 😎
Okay, und …
Wofür brauchen wir die Nebencharaktere jetzt genau?
Nebencharaktere können vier wichtige Funktionen in deiner Geschichte übernehmen.
1. Sie dienen als Resonanzkörper und als Kontrast
Am Anfang der Geschichte kennt der Leser deine Hauptfiguren noch nicht. Nun könntest du dich hinstellen und sagen: “Petra war eine gute Schwester” oder du kannst zeigen, wie sie mit ihrer Schwester interagiert.
Das heißt, Nebencharaktere sind da, damit der Protagonist seine eigenen Meinungen und Standpunkte, sein Wertesystem mit jemandem teilen und an jemandem “ausprobieren” kann. Denn dafür braucht er Menschen, die mit ihm interagieren.
Diese Interaktionen zeigen aber nicht nur dem Leser, was für ein Mensch der Hauptcharakter ist. Sondern sie geben dem Hauptcharakter auch eine Gelegenheit, um direkte Reaktionen auf seine Meinungen und Gedanken zu erhalten.
Wenn der neue Nachbar Petra ganz besonders gut gefällt, sie ihm vielleicht sogar einen Kuchen backt und das mit ihrer Schwester teilt, kann die ihr sagen: „Du kennst ihn doch noch gar nicht.“
Dann ist für Petra und den Leser sofort klar, was die Außenwelt von Petras Verhalten denkt.
Das wird insbesondere dann wichtig, wenn der Hauptcharakter innerhalb der Geschichte wächst. Wenn sich seine Meinung oder sein Verhalten ändert, kann er durch seine Interaktion mit Nebencharakteren erfahren, wie diese Veränderung bei der Außenwelt ankommt.
Damit sind wir auch schon bei der zweiten Funktion, die Nebencharaktere übernehmen können:
2. Sie wirken als Katalysator
Das bedeutet, sie können dem Protagonisten helfen, eine bessere Version seiner selbst zu werden.
Wenn Petra sich nicht traut, ihren Kuchen beim netten Nachbarn abzugeben, kann ihre Schwester ihr Mut zusprechen – oder sich über sie lustig machen. In beiden Fällen bekommt Petra die Gelegenheit, über ihr Verhalten nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Im Allgemeinen können Nebencharaktere ihre Funktion als Katalysator erfüllen, indem sie dem Hauptcharakter aktiv Werte vermitteln. Z.B. durch ein Gespräch oder indem sie ihm durch ihr eigenes Fehlverhalten die Möglichkeit geben, zu wachsen.
Und drittens …
3. Nebencharaktere fungieren als Plotdevice
Das heißt, sie treten in Aktion, wenn der Hauptcharakter bestimmte Gegenstände braucht, wenn er Wissen erlangen muss, wenn er neue Fähigkeiten braucht, wenn er Hindernisse überwinden oder Strecken zurücklegen muss.
In all diesen Situationen kannst du natürlich auch andere Hauptcharaktere benutzen. Aber wenn die Schwester von Anfang an weiß, wie man durch das Labyrinth kommt, dann hätte sie wahrscheinlich schon früher etwas gesagt und die Geschichte wäre zu Ende gewesen, bevor sie richtig angefangen hätte.
Deshalb braucht es eben einen Nebencharakter, der erst später in Erscheinung tritt, um diese Information zu vermitteln und den Plot voranzutreiben.
Als Viertes dienen …
4. Nebencharaktere als Instrument für die Stimmung
Der Charakter von Hauptfiguren ist wichtig für die Geschichte. Das heißt, du kannst deinen Protagonisten oder seinen besten Freund nicht einfach zu einem Draufgänger machen oder zu einem Fiesling, wenn das nicht zum Rest der Geschichte passt.
Genau hier kommen die Nebencharaktere ins Spiel. Wenn du eine kleine Pause von der übergreifenden Stimmung deiner Geschichte brauchst, kann die Freundin des Hauptcharakters durchaus ein paar blöde Sprüche reißen, der beste Freund kann eine Party schmeißen oder die Lieblingscousine kann anfangen, mit Torten zu werfen.
Egal, welche Stimmung du gerade brauchst, die Nebencharaktere sind immer für dich da. Unter anderem auch, um dramatische Situationen zu erzeugen oder durch ihren Tod die Gefahr einer Situation deutlich machen. Wer weiß, was ein „Red-Shirt“ ist? 😉
Jetzt bist du gut ausgerüstet und weißt, wofür du deine Nebencharaktere einsetzen kannst – oder vielleicht sogar schon unbewusst eingesetzt hast.
Und wie geht es weiter?
In diesem Artikel haben wir uns mit den Nebencharakteren beschäftigt. Aber was ist mit den Hauptcharakteren? Gute Frage! Die erfüllen wichtige (verd***t wichtige) Funktionen in deiner Geschichte!
Wenn du wissen möchtest, welche Funktionen das sind und warum du überhaupt Charaktere in deiner Geschichte brauchst, dann ist mein kostenloser Mini-Charakterkurs etwas für dich. Aber du musst dich beeilen, den gibt es nämlich nur für ganz kurze Zeit. Viel Spaß beim Anschauen und Lernen 😉
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