Du beginnst zu schreiben, die ersten Worte stehen schon. Doch dann kommst du ins Stocken, du zweifelst, du hältst inne und liest von vorne. Das erste Wort passt noch nicht, das Zweite ist auch nicht richtig. Im dritten Satz hast du nicht genug Emotion geweckt und auch die Satzzeichen sitzen noch nicht richtig. Heißt es hier „das Haus“ oder „dem Haus„?
STOP!
Der erste Entwurf ist NICHT dafür gedacht, perfekt zu sein!
Du hast dich inspirieren lassen, deine Charaktere entwickelt und dich mit dem Plot beschäftigt. Du hast alles in deiner Macht stehende getan, um dich vorzubereiten.
Beim ersten Entwurf geht es nur noch ganz einfach darum, deine Idee auf das Papier zu bannen. Julia Cameron nennt das in ihrem Buch „Von der Kunst des Schreibens„, eine Spur legen. Eine bessere Beschreibung habe ich bisher noch nicht gefunden. Es ist einfach nur eine Spur, die dir die grobe Richtung weist. Sie soll dir beim nächsten Entwurf lediglich zeigen, wo es lang geht, damit du dich dann völlig auf die Details konzentrieren kannst.
Stephen King schreibt in seinem Buch „On Writing„, dass er beim ersten Entwurf mit geschlossener Türe schreibt. Das bedeutet, dass er versucht, sämtliche Unterbrechungen auszuschalten. Er sperrt die ganze Welt aus, indem er die Türe abschließt, das Telefon abstellt und dafür sorgt, dass er von niemandem gestört wird.
Den Kritiker aussperren
Aber vor allem musst du deinem inneren Kritiker den Mund verbieten. Der innere Kritiker ist eben diese, nie zufriedene Stimme, die ich im ersten Absatz zitiert habe.
Mir ist selbst klar, dass das verdammt schwer ist. Es ist mir oft genug passiert, dass dieses Biest auf meiner linken Schulter einfach nicht die Klappe halten wollte. Aber du musst ihm klar machen, dass er beim ersten Entwurf einfach nichts zu sagen hat.
Was du in dieser ersten Schöpfungsphase brauchst, ist dein kleines, überaus sensibles, kreatives Ich. Wenn du aber dem großen bösen, gemein direkten Kritiker erlaubst, dauernd zu nerven, dann versteckt sich die Kreativität sofort, um vielleicht erst Stunden später wieder hervorzukommen.
Einfach drauf los schreiben
Deshalb: Schreib einfach drauf los. Verbiete dir selbst, das Geschriebene noch einmal zu lesen. Schreib die Sätze hin, wie sie dir einfallen. Wenn es sein muss, schalte einfach den Bildschirm aus, egal ob sich dabei noch mehr Tippfehler einschleichen. Falls der Kritiker sich zu Wort meldet, schlag ihn K.O. Fessel und knebel ihn. Schick ihn vor die Türe. Oder hör einfach nicht hin.
Was immer du auch tust, denk immer daran: Der erste Entwurf darf so richtig besch***en sein.
Andrer Leute Kinder
Dann leg deinen Entwurf in die Schublade. Warte ein paar Tage, ein paar Wochen, vielleicht sogar ein paar Monate. Je länger, desto besser. Denn es ist immer leichter, über die Kinder anderer Leute zu urteilen, als über die Eigenen. Dadurch, dass du den Entwurf eine Weile vergisst, kannst du Abstand gewinnen.
Sobald du den Text wieder herausholst, werden die Rollen vertauscht. Dein kreatives Ich wird sorgfältig in Watte gepackt und ins andere Zimmer geschickt. Wenn du nun zu lesen beginnst, dann wirst du mit aller Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Spur, die du damals gelegt hast, gar nicht so schlecht ist. Aber auf jeden Fall wird es dir jetzt leichter fallen, die vorhandenen Schwächen zu erkennen und zu beseitigen.
Denn nun darf der Kritiker nach Herzenslust wüten „Komma hier … Punkt da … überflüssiger Satz gestrichen … Fehler in der Logik: korrigiert … Satzstellung, Verbfehler, Großschreibung … Pillepalle“ jetzt ist der Perfektionist in dir an der Reihe; jetzt darf er!
Die einstige Spur aus Brotkrumen entwickelt sich langsam aber sicher zu einer festen befahrbaren Straße. Bis sie eine Allee mit saftig, grünen Bäumen und einer hübschen Villa am Ende geworden ist, wird es noch einige Entwürfe brauchen. Aber du bist auf dem besten Weg.
Weiter machen
Tja, jetzt bleibt wieder nur eins zu tun: Üben, üben, üben. Denn dir wirklich, ohne schlechtes Gewissen zu erlauben, dass du schlecht schreiben darfst, erfordert Überwindung und einiges an Zeit. Vielleicht klappt es nicht beim ersten Mal, vielleicht auch nicht beim Zweiten. Aber nach einer Weile wird es dir gelingen.
Diskussion
Hast du auch einen inneren Kritiker? Was tust du, um ihm den Mund zu verbieten? Fällt es dir schwer, schlecht zu schreiben? Was ist dein liebster Tipp, um es doch zu schaffen?
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