Probleme im Alltag können nervig sein und am liebsten würde man sie wahrscheinlich ganz umgehen. Innerhalb einer Geschichte sind sie aber gerade das Salz in der Suppe. Genau deshalb solltest du eher nach Problemen suchen, als zu versuchen, sie zu umgehen.
Mein Geheimtipp:
Nicht vor Autoren-Problemen davonlaufen.
Was ich damit meine? Ich möchte es dir an 5 Beispielen zeigen.
1. Nicht an Charakteren sparen
Manchmal fühle ich mich überwältigt, von all den Charakteren, die meine Geschichte zu erfordern scheint. Dann bin ich versucht, einen Bruder auszulassen oder eine beste Freundin oder einen Erzeuger. Aber das echte Leben besteht aus sozialen Kontakten. Und sicher ist es schwierig sich mit einem halben Dutzend Charakteren herumzuschlagen. Sicher komplizierter als mit nur zwei oder drei. Aber manchmal sind sie einfach notwendig, um die Geschichte und die Hauptcharaktere lebendig und glaubwürdig zu machen.
Nur all zu oft bekomme ich das Gefühl, dass Protagonist B.S. nur deshalb keine Freunde und Familie hat, damit sie in der Geschichte ganz allein gegen das Urböse kämpfen muss. Aber ganz ehrlich: Würde es die Geschichte nicht gerade interessant machen, wenn ihre Eltern ihr zur Seite stünden? Oder was wäre, wenn sich ein Konflikt ergibt, gerade weil sie ihr nicht helfen können oder wollen?
Sicher, das ist ein wenig komplizierter und anstrengender für dich als Autor, aber es ist auch wesentlich realistischer für den Leser. Und wollen wir nicht alle glückliche und vor allem (ein-) gespannte Leser?
2. Keine Probleme auslassen
Wenn es am ausgesuchten Ort keine Toilette gibt, dann ist das für deinen Charakter unter Umständen ein schwerwiegendes Problem. Natürlich kann ich hingehen und ihm eine Toilette dazuerfinden oder eine Elefantenblase. Aber das ist nicht nur für den Charakter langweilig, sondern auch für den Leser und für mich.
Wenn du deine Welt selbst entwickelst, hast du solche Probleme – gefühlt – natürlich nicht. Aber überleg mal selbst, wie wahrscheinlich es ist, dass es genau an dieser Stelle einen Getränkeautomaten gibt, einen Affenbrotbaum oder was-auch-immer-es-ist-das-dein-Charakter-gerade-braucht. Wenn die Chancen schlecht stehen, mitten in der Wüste – gerade noch rechtzeitig vor dem Verdursten – eine Oase zu finden, dann musst du eben eine andere glaubwürdige Möglichkeit finden, deinen Charakter am Leben zu halten.
Lästig? Für dich als Autor vielleicht. Aber realistische Probleme und ihre glaubwürdige Lösung machen eine gute Geschichte aus. Und wenn es absolut keine Möglichkeit gibt, Person A und Person B alleine in einen Raum zu bekommen, dann packe ich eben Person C dazu (durch die sie plötzlich zusammenfinden können) und die Situation wird (für mich) um einiges komplizierter, aber dadurch auch spannender (für die Charaktere und insbesondere für den Leser).
3. Keine schwierigen Situationen vermeiden
Der Protagonist Harry erwischt seine Freundin Sally mit seinem besten Freund im Bett. Also, in der Szene:
Harry öffnete die Tür. Fleisch auf Fleisch und Stöhnen. Und irgendwo dazwischen das Gesicht von Sally – und Bert. Harry blieb die Luft weg und sein Mund klappte auf.
***
Es war erst sechs Stunden her. Er hatte keine Sekunde geschlafen und er konnte es immer noch nicht glauben. Sally hatte wirklich mit Bert geschlafen. Er hatte sie zur Rede gestellt und sie wären beide dabei beinahe aus dem Bett gefallen, aber wirklich entschuldigt hatte sich keiner von beiden.
Äh – ja. Wegen genau solchen Stellen schreibt man eigentlich eine Geschichte. Bzw. wegen solchen Stellen lesen Leser Bücher. Sie wollen die spannenden Momente mitbekommen. Aber wenn du genau an dieser Stelle wegblendest, dann verschenkst du einen wunderschönen Konflikt, und insbesondere auch eine Gelegenheit die Charaktere kennenzulernen. Es ist wahr, dass selbst der kleine Rückblick da schon Einsichten gibt. Aber direkt dabei zu sein, das ist etwas völlig anderes. Schließlich macht es einen enormen Unterschied, ob Sally einfach nur geschwiegen hat, als er sie zur Rede stellte (sie hat sich nicht entschuldigt), oder ob sie Harry angeschrien und versucht hat, ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil er zu viel arbeitet (auch hier hat sie sich schließlich nicht entschuldigt).
Konfliktsituationen sind nicht immer angenehm zu schreiben und an manchen Stellen hast du vielleicht spontan einfach gar keine Idee, wie es genau weitergehen soll. Aber es macht gerade einen wirklich guten Autor aus, dass er sich dann auf den Hosenboden setzt und überlegt, was zu den einzelnen Charakteren passt und was aus einer „kleinen Story“ eine richtig gute Geschichte macht.
4. Langweilige Szenen mit Problemen füllen
Manchmal gibt es langweilige Szenen, die sich einfach nicht umgehen lassen. Person A und Person B müssen zusammen mit dem Zug fahren. Sie werden sich die ganze Zugfahrt anschweigen und eigentlich ist es eine verdammt langweilige Szene. Aber da die Geschichte gerade erst angefangen hat, ist es wichtig, dass der Leser weiß, dass sie tatsächlich die ganze Zeit geschwiegen haben. Natürlich kann man das mit einem einzigen Satz als Rückblende abhaken:
Die ganze Zugfahrt hatten sie sich angeschwiegen. Selbst jetzt saßen sie noch stocksteif nebeneinander im Café.
Und schon kann es mit der „richtigen“ Handlung weitergehen. Aber das bringt natürlich nicht die eigentliche Atmosphäre herüber und hilft auch nicht dabei die Charaktere kennenzulernen. Deshalb wäre es besser, wenn du den Leser am Schweigen teilhaben lässt. Moment, aber das ist doch langweilig?!?
Und genau hier ist deine Kreativität als Autor gefragt. Vielleicht ist A ein notorischer Schwarzfahrer und diesmal kommt ausgerechnet ein Schaffner ins Abteil. Wie reagiert A? Bricht er sein Schweigen? Und wenn nein, wie kommt er an dem Knöllchen vorbei, ohne mit B zu sprechen?
Oder vielleicht besorgt B sich einen Kaffee und schüttet ihn bei einem Zugwackler über As Hose. Schweigen sie weiter? Streiten sie kurz? Unendliche Möglichkeiten, um deinem Leser zu zeigen, was für Typen er sich da für die kommende Geschichte angelacht hat.
5. Minigeschichten mit eigenem Konflikt in Unterhaltung einbauen.
Es gibt Informationen, die sind verdammt wichtig für die Geschichte aber eigentlich ziemlich langweilig. Sagen wir so etwas, wie „Wer war Marie Antoinette?“ Der Protagonist M. hat keine Ahnung, wer das ist, und die einzige Möglichkeit für ihn das herauszufinden, ist eine Unterhaltung mit dem bewanderten Museumswärter W.
M steht vor einem Gemälde von Marie Antoinette und fragt sich leise selbst: „Wenn ich nur wüsste, wer das ist.“
W: „Marie Antoinette war als Maria Antonia Josepha Johanna geborene Erzherzogin von Österreich sowie Prinzessin von Ungarn, Böhmen, der Toskana und entstammte dem Haus Habsburg-Lothringen. Durch ihre Heirat mit dem französischen Thronfolger und späteren König Ludwig XVI. wurde sie zunächst Dauphine und später Königin von Frankreich und Navarra. Sie gilt als eine der schillerndsten Figuren während der Französischen Revolution und teilte neun Monate nach ihrem Gemahl dessen Schicksal auf dem Schafott.“ (Wikipedia)
M bedankt sich und verschwindet.
Öhm … joah … selten etwas Langweiligeres gelesen, nennt sich auch Infodump. Wie wäre es stattdessen mit Folgendem:
[Man verzeih mir meine "Lautschrift"]
M beugt sich dichter an das Bild heran.
W: Hey! Du! Tritt einen Schritt Stück zurück. Nicht dass dein Straßenschmutz noch das ganze Gemälde verdirbt!
M: ‚Tschuld’gen s’e Sir. Die sah nur so heiß aus.
W: Heiß? Was heißt hier heiß! Das ist eine Erzherzogin, Prinzessin und Königin. Was fällt dir ein, so von ihr zu sprechen?
M: ‚Ne Königin sagen s’e? Was’n für ’ne Königin?
W: Einen Schritt zurück hab ich gesagt! Königin von was fragst du? Sie wurde Königin von Frankreich, als sie König Ludwig XVI geheiratet hat. Meine Güte, bringen sie euch heute in der Schule denn gar nichts mehr bei?
M: Frankreich sag’n s’e? Das is‘ ja mal ‚was! Und Ludwich der Sechste was?
W: Sechzehnte habe ich gesagt. Und jetzt mach einen Schritt zurück oder ich werfe dich eigenhändig aus dem Museum heraus.
M tritt einen Schritt zurück und duckt sich.
M: ‚Tschuld’gen s’e Sir. Das klingt ja sehr int’ressant. Wissen s’e denn auch, wann die gelebt hat?
W: Sicher weiß ich das. Es steht ja auch gleich neben dem Gemälde auf dem Schild.
M blickt nervös zum Schild und wieder zurück: T’schuld’gen s’e Sir, aber ich hab‘ meine Brille vergessen. Was steht ’n da?
W: Was? Blind bist du? Das glaube ich nicht, gerade hast du noch davon gesprochen wie ‚heiß‘ die Werte Dame wäre und jetzt kannst du das Schild nicht mehr lesen? Als Analphabet hast du sicher auch nicht die Eintrittspreise lesen können. Los! Zeig mir deine Karte!
M weicht nervös zurück: Karte Sir?
W: Na die Eintrittskarte natürlich! Los, zeig sie her, oder du erfährst das gleiche Schicksal wie „die heiße Dame“ und landest geköpft in einem Massengrab.
M macht auf dem Absatz kehrt und ergreift die Flucht.
Zugegeben kein Meisterstück, aber doch um einiges Interessanter als Version 1. Findest du nicht? Noch besser wäre es, wenn diese Minigeschichte dem Leser zusätzliche, wichtige Informationen vermitteln würde. In diesem Beispiel könnte das z.B. sein, dass der Protagonist Analphabet ist, der Fakt, dass der Museumswärter eher in die gebildete Bevölkerungsschicht gehört, trotz oder gerade wegen seines Jobs. Vielleicht auch einfach nur, um überhaupt eine Beziehung zwischen den beiden aufzubauen, die später noch einmal von Bedeutung sein wird. Für eine konkrete Geschichte ein Beispiel zu finden wäre natürlich einfacher.
Auf jeden Fall lässt sich durch kleine Minigeschichten mit eigenem Konflikt aus einem langweiligen Infodump eine richtig schöne Szene machen.
6. Konflikte Finden statt vermeiden
Ich denke, es ist eine gute Idee, am Ende einer Geschichte hinzugehen und sich den Plot noch einmal genau anzusehen. Wo gibt es Möglichkeiten zum Konflikt, die du vielleicht noch nicht ausgeschöpft hast? Ich finde, es gibt wenig, das trauriger ist, als ein übersehener Konflikt, der einsam und vergessen zwischen den Zeilen schlummert.
Diskussion
Welche Probleme versuchst du schon einmal gerne zu umgehen, obwohl du weißt, dass sie die Geschichte eigentlich bereichern könnten? Kennst du ein Beispiel von einem berühmten Autor? Welches Problem hat er ausgelassen, das die Geschichte nur bereichert hätte?