Ein Plädoyer für fundiertes Schreiben. Erzähle von Dingen, die du kennst und dein Leser wird dir durch deine ganze Geschichte folgen, ja selbst in die tiefsten Abgründe der Hölle. Schreib über etwas von dem du keine Ahnung hast und er läuft dir besten Falls davon.
Das klingt ja so verdammt langweilig
Ist es aber nicht, ganz im Gegenteil.
Jedes Leben ist aus sich heraus spannend, schon allein wegen der Tatsache, dass du es nicht warst, der es erlebt hat. Die Kirschen in Nachbars Garten sind immer dicker, egal was für prachtvolle Exemplare auf deinem eigenen Baum wachsen.
Wer hat sich noch nicht gewünscht einmal Harry Potter sein zu dürfen? Aber ist Harry Potter nicht der kleine Junge, der keine Familie hat, der von seinem widerlichen Cousin gejagt, vom Bösen schlechthin verfolgt wird?
Oder für die, die „der-dessen-Name-heute-nicht-mehr-genannt-werden-soll“ nicht leiden können: Hast du dir nicht wenigstens schon einmal gewünscht, der Held aus einem deiner Bücher zu sein? Und wenn du Mal ganz genau hinsiehst, hatte genau dieser Held nicht auch langweilige, eintönige, oder schreckliche Dinge zu tun, die du (mal ehrlich) eigentlich lieber nicht erleben wolltest?
Das Universum vor deiner Türe
Für dich mag es alltäglich sein in Rösberg zu wohnen und jeden morgen an einer Kuherde vorbeizulaufen. Aber ist dir schon Mal aufgefallen, dass es hunderte von Menschen gibt, die in ihrem ganzen Leben noch keine Kuh gesehen haben?
Alles worauf ich hinaus will ist: Was immer du schon erlebt hast, es reicht um daraus eine Geschichte zu machen oder es zumindest als Grundlage zu nehmen um darauf etwas aufzubauen. Es ist einfach nicht notwendig, dass jede Geschichte in New York spielt. Das ist langweilig!
Warst du schon mal dort? Wenn ja, ersetze den Big Apple bitte durch eine andere große Stadt, mit Vorliebe in Amerika, in der du noch nicht gewesen bist. Denn aus irgendeinem Grund tendieren junge Schriftsteller dazu alles in Amerika spielen zu lassen. Zurück zur Frage:
Aha du warst also noch nicht da. Na, dann sag mir mal, wie lange es dauert um von der 42sten in die 75ste Straße zu kommen? Keine Ahnung? Aber wie man in <Der Name der Stadt in der du wohnst> am schnellsten von der Kirche zum Bäcker kommt weißt du schon? Okay, dann weißt du jetzt auch warum ich dafür bin, dass deine Geschichte besser bei dir zu Hause, als in der „großen weiten Welt“ spielt. Natürlich wärst du gerne „dort“ aber dein Leser wäre (spätestens nach der Geschichte) viel lieber bei dir. Denn für ihn sind deine Kirschen die vom Nachbarn.
Wie Fantasy da rein passt
Natürlich könntest du jetzt sagen, dass Fantasy dadurch unmöglich wird. Aber das soll es gar nicht heißen (Ich liebe Fantasy, da wäre ich ja verrückt). Wenn du es genau nimmst, dann ist Fantasie „nur“ ein zusammenwürfeln von Dingen die du schon erlebt hast. Solange das, was du schreibst wirklich durchdacht ist und Hand und Fuß hat, ist gar nichts dagegen einzuwenden.
Und jetzt nochmal auf denglisch bitte
Es geht mir auch nicht darum, dass du wirklich alles, was du schreibst, schon erlebt haben musst. Wie sollte es sonst Krimis, historische Romane und Sci-Fi Abenteuer geben? Vielleicht geht es auch nur darum, dass ich mich ein bisschen darüber aufregen möchte, warum es notwendig ist, das alle Geschichten in Amerika/England spielen?
Es gibt so wunderschöne Städte in Deutschland, so tolle Landschaften. Gut es ist alles ein bisschen kleiner, aber dafür kennst du die Leute hier und verstehst wie sie denken. Ich war selbst in Amerika und wenn ich es nicht selbst erlebt hätte würde ich es wohl auch nicht glauben. Aber die Amerikaner sind einfach komplett anders als wir.
Andere Länder andere Sitten
Ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, ich konnte mich nicht zurück halten. diesen Teil kannst du also auch gerne überspringen.
Du kommst in ein Geschäft, eine Verkäuferin begrüßt dich mit einem strahlenden Lächeln „Hello, how are you?“ (Hallo, wie geht’s?) doch noch bevor du auch nur die leiseste Chance hast zu antworten, ist ihr Lächeln verschwunden und sie hat sich schon abgewendet. Das ist einfach so, sie will dir nichts Böses. Selbst wild fremde Menschen fangen mit dir ein Gespräch an. Aber niemand will wirklich wissen wie es dir geht. Wenn du etwas anderes als „Great!“ antwortest, merkst du, wie die Gesichtszüge ihnen langsam entgleiten. Das wollten sie doch gar nicht hören, …
Auch ist die Infrastruktur ist komplett anders. Der Busfahrplan an der Haltestelle, auf dem Unigelände sah so aus: Alle zwanzig Minuten. Super Auskunft.
Eben weil in Amerika alles größer ist, fahren die Amerikaner überall mit dem Auto hin, selbst einmal über die Straße ist kein Grund den Wagen stehen zu lassen.
Wenn du Bier kaufst, dann darfst du das nicht offen mit dir rumtragen, sonst wirst du von der Polizei angesprochen und musst es abgeben.
Alle Strom- und Telefonleitungen sind oberirdisch verlegt, wenn es Mal stürmt, dann ist ein Stromausfall etwas ganz normales.
Auch die Häuser sind nicht mit demselben Sicherheitsbewusstsein gebaut wie hier. Dass es bei Regen irgendwo durchs Dach tropft ist eher die Regel als die Ausnahme.
Ich könnte noch stundenlang weiter erzählen, aber der Punkt würde sich nicht ändern. Amerika und Amerikaner sind anders als wir. Genau so wie alle anderen Länder andere Sitten haben. Wenn du nicht dort warst, dann solltest du es dir dreimal überlegen ob du wirklich das Risiko eingehen möchtest unglaubwürdig zu erscheinen, dadurch dass du deine Geschichte dort spielen lässt.
Namen und Orte
Auf diesen Punkt werde ich in meinem Charakterkurs noch näher eingehen. Aber hier schon einmal kurz die Frage: Warum muss die Geschichte von Sean, George und Kimberley in Californien handeln? Warum können es nicht Jan, Lukas und Anika in Berlin sein? Diese Frage stellt sich vor Allem dann, wenn der Handlungsort nicht wesentlich zur Geschichte beiträgt.
In den aller meisten Fällen ist der Ort eben nur ein Ort. Also nimm lieber etwas was du kennst, dann überzeugst du deinen Leser auch. Wenn du von etwas schreibst, von dem du keine Ahnung hast, wird er dir das schnell anmerken, selbst wenn er selber genau so wenig Ahnung davon hat wie du.
Die Regel biegen
Die Regel steht und du solltest sie im Allgemeinen nicht brechen. Wenn du von etwas keine Ahnung hast, dann schreib auch nicht darüber, Punkt. Aber wie jede gute Regel, kannst du sie ein wenig biegen, nämlich durch Recherche!
Du hast keine Ahnung von Schussfeuerwaffen, dein Protagonist soll aber eine tragen? Mach dich schlau! Du warst noch nie im Knast, dein Antagonist soll aber die ganze Zeit drin hocken? Geh hin und sie dir ein Gefängnis von innen an. Sprich mit den Wärtern, mach ein Interview mit den Gefangenen. Sorge dafür, dass du es kennen lernst. Et voilá, schon hast du Ahnung davon und kannst darüber schreiben.
Eine intensive Recherche erlaubt dir über alles zu schreiben, was du möchtest. Also: Recherchiere lang und erfolgreich.
Bei Fantasy würde das bedeuten, dass du den Hintergrund, die Welt in der es spielt eben gut ausarbeiten musst. Das ist schließlich genau der Grund, warum Herr der Ringe so gut angekommen ist. Tolkien hat sich nicht nur eine komplette Welt ausgedacht sondern auch noch eine eigene Sprache erfunden, Ahnentafeln erstellt und was weiß ich was noch nur um eine „kleine“ Geschichte zu schreiben. Das war seine Art der „Recherche“.
Lange Rede kurzer Sinn
Hier nochmal die Zusammenfassung:
Ein Drittel erlebt, ein Drittel gehört und ein Drittel gut erfunden.
(Ralf König)
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