Diesen Ratschlag hab ich jetzt schon bestimmt ein gutes dutzend Mal gegeben, deshalb hätte ich schwören können, dass er auch schon hier im Blog steht, tut er offenbar nicht, also reiche ich ihn hiermit feierlich nach.
Dieser Ratschlag hilft übrigens auch dann, wenn du nicht so ganz genau weißt, wo, wann und wie du jetzt eigentlich mit deiner Geschichte genau anfangen sollst.
„Ich möchte einen Roman schreiben“
Mit diesem Gedanken fangen wir alle irgendwann einmal an. Viele von uns haben diese „eine große“ Geschichte im Kopf, deren Idee meistens so toll und großartig und überwältigend ist, dass wir uns häufig jahrelang nicht an die Umsetzung herantrauen.
Das soll jetzt gar keine Übertreibung sein, oder irgendwie abfällig klingen, Fakt ist, dass ich selbst auch so eine Idee hatte. Sie war/ist meine Lieblingsidee, mein heiliger Gral, an der ich mit all meinem Herzblut hing/hänge (das ist die Geschichte, die ich gerade aufschreibe: 116.000 Wörter und steigend ^^).
Es ist auch gar nicht wichtig, ob die Idee wirklich so toll ist, wie wir glauben, es ist nur wichtig, dass sie uns so unglaublich berauschend vorkommt.
Jetzt trau ich mich aber wirklich!
Normalerweise ist es dann nach ein paar Monaten, spätestens nach ein paar Jahren so weit, dass wir uns denken: „Jetzt ist es aber gut, jetzt schreibe ich diese Geschichte endlich auf!“
Wir setzen uns auch hin, fangen an zu überlegen, machen Mindmaps, erzeugen Charakterbögen noch und nöcher, plotten grob oder bis ins kleinste Detail und dann, dann kommt die große Wahrheit, dann kommt …
… der erste Satz …
… Dann sitzen wir da, hocken vor unserem Computer, starren auf unseren Bildschirm, unsere Finger schweben über den Tasten, die ganze Geschichte läuft in rasanter Geschwindigkeit vor unserem geistigen Auge ab, in Dolby Surround und High Definition – aber – wir können einfach nicht anfangen. Selbstzweifel packen uns:
- Was, wenn ich nicht gut genug bin?
- Was, wenn es schlecht wird?
- Was, wenn ich zu schlecht bin, um es so aufzuschreiben, wie es sein müsste – wie es in meinem Kopf bereits existiert?
So oder so ähnliche Fragen breiten sich in unseren Köpfen aus, blähen sich zur zehnfachen Größe auf und verstopfen bald jede noch so kleine, noch so große kreative Pore.
Wir legen das Projekt zur Seite, mit den Gedanken:
„Vielleicht später, vielleicht wenn ich besser bin, erst einmal will ich etwas anderes schreiben, etwas, wo die Idee nicht ganz so gut ist, um besser zu werden, um zu üben und dann, dann fange ich an, ganz sicher, dann fange ich mit diesem wunderschönen Projekt an.“
Das Problem:
Auch wenn wir das nächste Mal zu unserem Projekt zurückkehren, auch wenn wir wieder von vorne beginnen, alles, mit unseren neu erworbenen Erfahrungen von vorne planen, plotten, inszenieren, besser machen, kommen wir irgendwann zurück zu diesem einen, einzigen, schrecklichen ersten Satz.
Vielleicht haben wir Glück, vielleicht schreiben wir ihn dieses Mal sogar hin, aber nach einer Seite, oder zwei, „merken“ wir (oder bilden uns zumindest ein), dass wir es einfach nicht hinbekommen, dass es viel zu schlecht ist, viel zu ordinär, dass es die Tiefe der Geschichte nicht im Mindesten erfasst, dass es plump und grob und abgestanden ist, dass wir erst viel besser werden müssen, bevor wir diese – unsere eine, wahre, große – Geschichte, zu Papier bringen können.
Und alles fängt von vorne an.
Vier Lösungsansätze:
Dem Problem kannst du mit vielen verschiedenen Mitteln auf den Leib rücken.
1. Mit dem zweiten Satz anfangen
Wenn das Problem wirklich nur der erste Satz ist, dann lass ihn einfach aus und halt dich an die Regel: Klappe, schreib jetzt!
2. Üben
Es ist wirklich wahr, die erste Geschichte, die du schreibst, wird höchstwahrscheinlich mist. Deshalb kannst du dafür ruhig eine „nicht ganz so tolle Geschichte“ verbraten. Nutze zum Beispiel den Trainingsplan für Schriftsteller, um zu üben. Wichtig ist, dass du eine große Geschichte einfach einmal zu Ende schreibst, um dir selbst zu beweisen, dass du es kannst.
Danach sinkt die Hemmschwelle, es noch einmal zu tun, erheblich. Um es das erste Mal zu schaffen, kannst du zum Beispiel den NaNoWriMo benutzen, oder einen der Word-Wars, die monatlich in der Schreibwerkstatt stattfinden.
3. Probieren
Fang einfach an und schreib so schlecht, wie es eben wird und nimm dir vor es einfach anschließend, durch Korrekturen wettzumachen.
4. Vorher anfangen
Und um diesen Punkt soll es in diesem Artikel eigentlich gehen: Fang nicht im „Jetzt“ der Geschichte an, fang vorher an.
Was heißt vorher?
Vorher, heißt zu einem Zeitpunkt, der vor der eigentlichen Idee deiner Geschichte spielt.
Du hast dir eine Geschichte ausgedacht, eine Abfolge von Handlungen, aber wann immer diese auch spielen, es gibt immer ein „Vorher„. Dein Protagonist war mal ein Kind, der Konzern wurde irgendwann gegründet, es gibt ein Leben, Lieben, Leiden auch vor den Ereignissen, um die es sich in deiner Geschichte dreht, ein Geschehen, das eigentlich erst zu der aktuellen Situation geführt hat.
Und wenn wir mal ganz ehrlich sind, diese Ereignisse sind doch eigentlich auch sehr – zumindest aber einigermaßen – interessant, oder?
Was soll das bringen?
Dreierlei.
Erstens, ist es nicht die eigentliche Geschichte, das heißt, du musst dir keine Sorgen machen, ob es schlecht wird, es ist völlig dir überlassen, ob du diesen Text überhaupt jemals irgendwem zum Lesen gibst. Das heißt, sämtliche Hürden, die du eben noch gesehen hast, lösen sich buchstäblich in Luft auf.
Zweitens, du fängst an zu schreiben und du tust es tatsächlich für dein aktuelles Projekt, dadurch sinkt die Hemmschwelle, denn obwohl du noch nie im „Jetzt“ deiner Geschichte geschrieben hast, hast du doch immerhin schon mit dem „Schreiben für deine Geschichte“ angefangen. Das führt dann – hoffentlich – dazu, dass du dich nach einer Weile auch selbstbewusst genug fühlst, wirklich im „Jetzt“ der Geschichte zu schreiben.
Drittens, lernst du durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit deiner Geschichte gleich noch einmal viel mehr über die aktuelle Situation, du lernst deine Charaktere kennen, übst mit ihnen umzugehen und wirst selbst viel enger mit deiner Geschichte verbunden.
Als kleinen Zusatz, erhältst du unter Umständen nicht nur völlig neue Ideen für die eigentliche Geschichte, sondern je nachdem kannst du das Geschriebene im Nachhinein sogar im „Jetzt“ der Geschichte als Rückblick verwenden, sodass du nicht nur dreifachen, sondern sogar vierfachen Nutzen aus dieser Methode ziehen kannst.
Beispiel
Deine eigentliche Geschichte dreht sich um eine Nonne, die sich in den Geschäftsmann Georg Sandmann verliebt (ja, ja, immer wieder das alte Lied ^^). Nun traust du dich nicht, anzufangen. Deshalb greifst du auf die Vergangenheit zurück.
Beispiel 1:
Du beschreibst die Szene, wie die Nonne ins Kloster aufgenommen wird, was hat sie für Gefühle? Warum ist sie hier? Wen lernt sie kennen?
Das ist eine super Gelegenheit, um den Charakter besser kennenzulernen, ihre Vergangenheit zu beleuchten und ihre Motivation zu verstehen.
Beispiel 2:
Du beschreibst einen Tag aus dem Alltag von Georg Sandmann. Er hat ein paar Meetings, ein spätes Abendessen mit einem Geschäftskunden und schleppt eine erotische Blondine ab (steht er auf Blondinen?).
Dadurch lernst du sein Verhalten kennen, machst dich mit seinen Marotten bekannt und bekommst ein Gespür für sein Zeitmanagement.
Beispiel 3:
Du gehst auf die Gründung des Klosters oder der Firma ein, wer wohnt und/oder arbeitet dort? Wie ist der Tagesablauf? Was für Beziehungen gibt es untereinander?
Damit machst du dich mit den einflussreichsten Leuten vertraut, mit der Umgebung, in der die Geschichte spielt, dem Schauplatz sozusagen.
Handelt es sich um Fantasy, kannst du die komplette Entstehungsgeschichte des Planeten beleuchten, Krieg, Frieden, Kaiser, Könige, Götter, bei einem Krimi den Werdegang des Detektivs oder des Mörders, … ich bin ganz sicher, dir fällt etwas Passendes ein.
Fang mit der Vergangenheit an
Wenn du dich also das nächste Mal nicht dazu durchringen kannst, mit deiner Geschichte anzufangen, dann greif einen interessanten – oder auch einen langweiligen – Aspekt aus ihrer Vergangenheit auf und fang einfach dort an zu schreiben, locker, flockig, munter drauf los, und es darf mit gutem Gewissen so richtig schlecht geschrieben sein. Schließlich geht es nicht um die eigentliche Geschichte, sondern „nur“ um die Vergangenheit.
Erfahrungsberichte
Ich habe diesen Ratschlag nun schon sehr häufig gegeben und aus jeder Quelle gehört, dass es nicht nur den Anfangswiderstand überwunden hat, sondern zusätzlich neue Ideen und tiefere Einblicke lieferte. Zu allem Überfluss hat es allen Betroffenen auch noch Spaß gemacht.
Wie gesagt, hat es mir auch bei meinem aktuellen (Fantasy) Projekt sehr geholfen.
Aber nun zu dir:
Diskussion
Hast du ein richtig großes Projekt, das dir so richtig wichtig ist? Worum geht es (ganz grob)? Schiebst du es schon lange vor dir her? Wenn ja, wie lange? Was hindert dich daran, anzufangen? Hast du schon einmal versucht, in der Vergangenheit anzufangen? Hilft dir das?
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