Das ist der zweite Teil des Interviews mit Harald Hillebrand, Jahrgang 1958, seine Wahlheimat ist Glambeck/Nord-Brandenburg (Landkreis Oberhavel), er ist verheiratet, hat 3 erwachsene Söhne und ist hauptberuflich Verwaltungsbeamter.
Über das Schreiben
Jacky: Warum schreibst du? Wann hast du damit angefangen? Wie und durch wen bist du zum Schreiben gekommen?
Harald: Die schwierigste Frage also zuerst: Schreiben ist ein Monolog, eine Möglichkeit, mit sich selber ins Reine zu kommen. Einer schreibt Tagebuch, der andere Geschichten; die Wirkung auf den Schreiber ist die gleiche. Oft sind Schreiber Leute, die für sich diese Art des Mitteilens gefunden haben, weil sie ihnen leichter fällt als zu reden. Ich gehöre wohl dazu. Und Romane und Kurzgeschichten sind die indirektere Art der Selbstfindung.
Angefangen hab ich 2002, als ich meinen ersten Internet-PC bekam und entdeckte, dass Schreiben meine Art der Kommunikation ist. Ich hasse Telefonieren.
Allerdings kam das alles auch nicht aus dem Nichts: Schon als Kind hab ich Gedichte geschrieben, später meiner Frau.
Jacky: Wie sieht dein Tagesrhythmus aus? Hast du feste Zeiten zum Schreiben? Lebst du vom Schreiben und wenn nicht, wie vereinbarst du das mit deinem anderen Job?
Harald: Schreiben ist für mich Hobby, eben Freizeit. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit richtiger Arbeit, um vom Schreiben zu leben, muss man wahrscheinlich früher anfangen als ich.
Wenn ich an einem Roman arbeite, nutze ich die Zeit, so lange ich allein zu Hause bin. Wuselt jemand im Haus herum, lenkt mich das ab. Bei Kurzgeschichten ist das unproblematisch. Die schreib ich, wenn sie mir einfallen.
Jacky: Wo schreibst du? Was sind deine Arbeitsmaterialien (Stift, PC, Papier, Programm, .. etc.)? Benutzt du ein Rechtschreibprogramm? Hast du spezielle Rituale?
Harald: Ich brauche einen festen Platz zum Schreiben. Einen, an dem ich mich sicher und geborgen fühle, sozusagen. Das ist für mich wichtiger, als die festen Zeiten. Ich hab versucht, bei einer Urlaubsreise zu schreiben, auch im Krankenhaus. Beides ging nicht; die Umgebung war nicht meine.
Beim Schreiben sind mir Rituale ganz wichtig, aber anders, als man gemeinhin annimmt. Für mich beginnt das Ritual bereits mit der Tastatur. Ich kann nicht einen Tag an meinem PC schreiben, am nächsten am Laptop. Diese Umstellung, dass die Tastatur kleiner ist, sogar, dass sie anders klingt, lenkt mich ab.
Und aus genau diesem Grund steht mein PC in einem Zimmer unterm Dach, abgekehrt vom Fenster. Die Wand hinter meinem Bildschirm ist einfarbig gestrichen und enthält keinerlei Schmuck (Bilder, Poster u.ä.).
Jacky: Hast du jemals Schreibblockaden? Was machst du dagegen? Hast du immer Spaß am Schreiben?
Harald: Hab ich, allerdings sind das eher Kopfblockaden oder Gefühlsblockaden. Da ich keinerlei Termin- oder sonstigen Druck beim Schreiben habe, schreibe ich nur dann, wenn ich auch etwas zu sagen habe. Und darin liegt, glaub ich, das Problem bei Schreibblockaden: Man versucht, über eine Thema zu schreiben, dass einen nicht aufwühlt.
Wenn ich schreibe, hab ich Spaß und ich bin aufgewühlt. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, mehr als zwei Seiten zu schreiben, ohne zwischendurch wenigstens einmal aufzuspringen und mich irgendwie zu beruhigen. Schreiben wühlt auf, es hat etwas von einem Orgasmus.
Jacky: Hast du jemals Bücher über das Schreiben-Lernen gelesen? Falls ja, welche kannst du empfehlen?
Harald: Neben mir im Regal stehen ungefähr dreißig Bücher über das Schreiben, gute und schlechte. Obwohl es eigentlich keine guten und schlechten Bücher für Autoren gibt, denn aus jedem habe ich etwas gelernt. Niemand, der solch ein Buch schreibt, verlangt, dass der Leser den Inhalt des Buches, die dort vorgeschlagenen Arbeitsweisen usw., kopieren soll. Deshalb werde ich wohl nie verstehen, dass manche Autoren so sehr über die Kollegen wettern, die ihnen die Möglichkeit geben, von ihnen zu lernen.
Mein erstes Buch zu diesem Thema war „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“ von James N. Frey. Ein Buch, das nicht nur unterhaltend ist, sondern auch all das enthält, was ein angehender Autor wissen muss. Wer (wie ich) gleich mit einem Roman anfangen will, sollte zuerst dieses Buch lesen. Denn leichter kann man es einem Schreibanfänger nicht machen. Ebenso lesenswert waren für mich die Bücher „Dramatisches Schreiben“ und „Literarisches Schreiben“ von Lajos Egri. Leider habe ich keine vergleichbaren Bücher aus dem deutschen Sprachraum gefunden. Die es gibt, waren vielleicht für Germanistik-Studenten, aber nicht für Autodidakten, wie ich einer bin.
Eine Ausnahme gibt es allerdings: „Stilkunst“ von [Ludwig Reiners]* Eduard Engel, ein Buch, das zur Nazi-Zeit geschrieben wurde und für mich bis heute die beste Stilkunde für Schreiber und Redner darstellt. Etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland nicht.
*[Name wurde nachträglich geändert; Quelle]
Seine Geschichten
Jacky: Denkst du aktiv über mögliche Geschichten nach, um Ideen zu bekommen, oder wie kommst du auf deine Ideen?
Harald: Für mich ist Schreiben Träumen. Kann ich mir einen Traum ausdenken? Nein, Träume sind unbewusste Abläufe im Gehirn, die sich um Ängste, Erlebnisse und Wünsche drehen. Was ich mir ausdenke, ist lediglich der Rahmen, in dem ich literarisch meine Träume niederschreibe.
Vor einiger Zeit (es ist wohl zwei Jahre her) schrieb ich die Geschichte „Der Letzte“. Woher kam die Idee über einen Mann zu schreiben, der der letzte freie auf der Erde war? Du wirst es nicht glauben: von der Geflügelpest und der Stallpflicht für meine Hühner.
Wichtig ist für mich als Autor, dass ich mir nicht rational Geschichten ausdenken kann – sie müssen mich emotional aufwühlen. Für jede meiner Geschichten gibt es einen solchen emotionalen Hintergrund.
Jacky: Wie genau ist der Entstehungsprozess einer deiner Geschichten? Wie gehst du vor, was ist zuerst da? Schreibst du mit Plot oder ohne? Wie viele Wörter schreibst du am Tag? Wie lange brauchst du um ein Buch zu fertig zu machen?
Harald: Im Mittelpunkt steht der emotionale Hintergrund, wie oben gesagt. Er bringt mich zur Hauptfigur und zum Plot. Beides arbeite ich oberflächlich aus. Das Schreiben selber ist dann aber improvisieren. Und das Ende des Buches ist nie das Vorgesehene. Trotzdem sollte man einen Plot haben und jeweils anpassen, wenn man sich beim Schreiben für einen anderen Weg entscheidet. Es erleichtert das Überarbeiten, wenn man anhand des Plots die Logik der Geschichte überprüfen kann.
Auch führe ich Buch über jeden Charakter, den ich mir ausdenke. Beim Schreiben kann ich dann schnell nachschlagen, wenn mir bestimmte Äußerlichkeiten nicht mehr einfallen oder ich nicht sicher bin, ob eine bestimmte Reaktion überhaupt zum bisher Geschriebenen passt.
Beim Romanschreiben schaffe ich ungefähr vier Seiten am Tag; und ich schreibe dann wirklich jeden Tag. So sind 200 – 250 Seiten in drei Monaten zu schaffen. Noch einmal so lange brauche ich dann für das Überarbeiten ohne Lektor.
Jacky: Wann zeigst du dein Werk zum ersten mal jemand Anderem und wem? Wie weit muss es dafür fortgeschritten sein? Wem zeigst du es? In wie weit nimmst du demzufolge Änderungen vor?
Harald: Bevor nicht das Wörtchen Ende unter dem Text steht, bekommt niemand die Geschichte zu sehen. Wozu auch? Ich weiß ja noch gar nicht, wie sie endet. Die Urfassung liest meine Frau zuerst. Ihre Aufgabe ist es, mich auf inhaltliche Probleme (Logik, Ausschweifungen, langweilige Stellen usw.) aufmerksam zu machen. Es gibt dann kaum eine Seite, wo ihre roten Markierungen nicht zu finden wären. Und meist hat sie recht. Wie ich oben schon sagte: Schreiben ist Träumen. Sind Träume logisch? Nein. Träume sind oft unlogisch, sie schweifen aus und sind für andere oft langweilig.
Jacky: Kennst du deine Charaktere alle in und auswendig? Erinnerst du dich noch an alle Geschichten und Charaktere?
Harald: Bestimmt nicht und bestimmt nicht. Deshalb lege ich zu jedem Charakter eine Datei an. Manche Charaktere bleiben natürlich im Gedächtnis, vor allem die Protagonisten. Mit ihnen war man während des Schreibens sozusagen eins.
Der Protagonist ist die Stimme des Autors. Der Protagonist spricht aus, was man selbst vielleicht nie gewagt hätte. Meine Protagonisten gehören zu mir, aber nicht alle Charaktere.
Jacky: Schreibst du über die Dinge, über die du schreiben möchtest, oder über Themen, die der Markt gerade verlangt?
Harald: Meine Themen haben mit dem Markt nichts zu tun. Das ergibt sich logisch aus meinem Schreiben-ist-Träumen. Büchern, die sich am Markt orientieren, merkt man dies auch an. Der Hauptvertreter für „Marktbücher“ ist in meinen Augen Wolfgang Hohlbein.
Was ich aber für wichtiger halte, ist die Frage, ob sich ein Autor beim Schreiben am Leser orientieren soll. Und diese Frage muss ich klar bejahen. Natürlich will ich so schreiben, dass die Geschichten für den Leser spannend sind, dass sie die Fantasie anregen und den Leser fesseln.
Wer für sich selbst schreibt (und nicht für den Leser), sollte andere nicht mit dem Ergebnis belästigen. Das hat aber nichts mit dem Markt zu tun. Wer für sich schreibt, braucht es für sein Ego. Das sind in der Regel auch die Autoren, die sich Gedanken darüber machen, ob man ihre Ideen klauen könnte. Dagegen ist es das Interesse eines jeden wirklichen Schriftstellers/Künstlers, seine Ideen mit möglichst vielen zu teilen.
Diskutiere dieses Thema in der Schreibwerkstatt.
Beim nächsten Mal geht es um seine ersten Kontakte zu einem Verlag und seine persönlichen Angewohnheiten, was das Schreiben angeht.
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Dieses Interview ist in drei Teile aufgegliedert. Hier findest du Teil 1 und Teil 3.