Über den ersten Satz wurde schon viel diskutiert, ob er wichtig ist oder nicht, ob er wichtiger ist als der Rest oder nicht, ob man überhaupt über ihn nachdenken sollte – oder nicht.
Bei freakingmuse ist es aber gerade der letzte Satz, der für sie ein gutes Buch ausmacht.
Deshalb gibt es heute einen Gastbeitrag von ihr mit ihren Gedanken zu dem Thema, die dich hoffentlich genauso inspirieren wie mich.
Um ehrlich zu sein, konnte ich die Fixierung auf den ersten Satz nie wirklich nachvollziehen.
Natürlich freue ich mich immer, wenn ich einen gelungenen Anfang lese oder schreibe, der mich gleich neugierig macht. Aber eigentlich finde ich ihn gar nicht so wichtig. Nicht so wichtig wie den letzten Satz, über den ich hier sprechen möchte.
Warum ist der letzte Satz so wichtig?
Der letzte Satz gibt dir einen Abschluss. Er ist derjenige, der dich zurück in die Realität schickt. Er klingt, ob du willst oder nicht, noch lange in deinem Kopf nach, lange, nachdem der erste Satz schon längst vergessen wurde.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kann einen schlechten Anfang verzeihen. Ein schlechtes Ende nicht.
Ende ist nicht gleich Ende
Es gibt ein paar Unterscheidungen, die es zu treffen gilt und die diktieren, wie wir du das Ende schreiben solltest. Dafür musst du erst einmal wissen, was du schreiben willst, ein endgültiges Ende oder ein Teil-Ende.
1. Das endgültige Ende
Schreibst du ein für sich alleine stehendes Werk, dann ist die Geschichte nach dem letzten Satz beendet. Darum brauchst du einen Schlusssatz, der dem Leser einen Abschluss gibt und ihn zurück in die Welt entlässt. Wenn der erste Satz, wie Jacky so schön beschrieben hat, Fragen aufwirft, sollten sie bis zum letzten Satz schon alle beantwortet sein. Er selbst muss daher keine Fragen mehr beantworten, sondern dient der Geschichte lediglich als finaler Punkt.
Abschluss
Das vielleicht bekannteste Beispiel ist:
“Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.”
Zugegeben, der originellste Abschluss aller Zeiten ist es nicht, trotzdem zeigt er passend, wie du eine Geschichte endgültig ausklingen lassen kannst, ohne Zweifel offen zu lassen. Finaler als der Tod geht in der Regel nicht.
Der Abspann
Wie du aber sicher weißt, ist nicht jedes Ende wirklich endgültig, denn auch wenn du nicht zwangsläufig planst, die Geschichte fortzusetzen, möchtest du eventuell, dass sie in den Köpfen deiner Leser weiterlebt. Vielleicht ist das Monster gar nicht tot, der Computervirus nicht völlig zerstört oder der böse Magier hat doch noch ein paar Anhänger, die sein finsteres Werk beenden wollen.
Hollywood macht es oft genug vor und versteckt ein zweites Ende im Abspann, das unsere komplette Sicht auf die Geschichte ändert oder andeutet, dass es vielleicht doch noch weiter geht, selbst wenn kein weiterer Teil folgt.
So ein Ende kann extrem wirkungsvoll sein, weil es zeigt, dass das fiktive Universum auch ohne den Leser weiter existiert. Ein Abspann kann die Fantasie anregen und Leser noch lange, nachdem das Buch schon wieder im Regal steht, mit Was wäre, wenn-Szenarien beschäftigen.
Leider kann diese Methode ebenso schnell in die Hose gehen und kitschig wirken. Besonders, wenn das Ende als Frage formuliert wird:
„Es war vorbei … oder?“
Als Leser stöhne ich auf und sage, egal wie gut das Buch war: „Ja, bitte!“ Vermeidet es eure Geschichte mit einer solchen Klischeefrage zu beenden, denn das ist die End-Variante des belächelten „Die Nacht war finster und stürmisch“-Anfangs.
Auch in den Gedanken deines Protagonisten sollte Ruhe einkehren. Für ihn ist die Geschichte abgeschlossen. Indem du seine Gedanken „offen“ lässt, wenn er beispielsweise sinniert, was nun noch schief gehen könnte, entkräftest du dein eigenes Ende. Wenn du ein Ende mit Abspann willst, dann muss es für den Leser ebenso überraschend kommen, wie für deinen Protagonisten. Hat dein Hauptcharakter eine Vermutung, dass die Gefahr noch nicht vorbei ist, hat der Leser sie somit auch und der gewünschte Effekt bleib aus.
2. Das Teil-Ende
Im Prinzip kannst du das Teil-Ende als eine Mischung aus den ersten beiden von mir beschriebenen Enden sehen. Wenn du einen Teil einer Reihe beendest, ist es sowohl wichtig, dass du einen befriedigenden Abschluss für den Leser schaffst, ihn aber gleichzeitig neugierig auf den nächsten Teil machst. Sofern es nicht das Finale ist, wurden mit dem Ende des Buches nicht alle Handlungsstränge der Gesamtgeschichte abgeschlossen, wohl aber die Hauptproblematik dieses Teils. Der letzte Satz sollte genau das reflektieren, was zugegeben ein Balanceakt sein kann.
Eine Methode, wie du diese Art des letzten Satzes angehen kannst, ist eine komplett neue Frage aufzuwerfen, mit welcher der Leser nicht gerechnet hat. So machst du sowohl klar, dass die Handlung dieses Teils vorbei ist, während deutlich wird, dass noch lange nicht alle Probleme gelöst sind. Das kannst du beispielsweise tun, indem du nicht nur mit der Realität deiner Leser, sondern auch deiner Hauptfigur spielst und Dinge in Frage stellst, die vorher als unumstößliche Wahrheit galten.
“Aber Maria, du warst niemals in Paris.”
Wenn dieser Satz am Ende einer Geschichte stehen würde, dann befindest du dich am Ende von Marias Reise. Du hast Höhen und Tiefen mit ihr durchgestanden und du kennst die Figur. Du weißt, dass sie sich gerne sehnsüchtig an ihre Zeit in Paris zurückerinnert und gerne darüber redet. Wenn aber plötzlich ihr bester Freund, der alles über sie weiß, sagt, dass sie niemals in Paris gewesen wäre, wird alles, was du und Maria glaubt zu wissen, in Frage gestellt. Warum behauptet er das? Warum sollte sie glauben, in Paris gewesen zu sein, wenn sie es nicht wirklich war? Steckt etwas Wahres in der Behauptung? Wenn ja: Woher kommen dann die Erinnerungen? Wenn nicht: Warum belügt ihr bester Freund sie?
Und schon existiert eine Brücke zum nächsten Teil, in dem genau diese Frage beantwortet wird. Solche finalen Sätze funktionieren am Besten, wenn ihr vorher bereits Hinweise gestreut habt. Hier und da ein Satz, der darauf hindeutete, dass etwas vielleicht nicht stimmt, der aber leicht in der Handlung untergehen kann. Der letzte Satz lässt es deinem Leser dann wie Schuppen vor den Augen fallen und bietet zusätzlich einen Anreiz, das Buch noch einmal nach weiteren versteckten Hinweisen zu durchkämmen.
Comics sind berüchtigt für diese Art von Ende, da es sich um monatlich erscheinende Reihen handelt, die immer darauf bauen müssen, den Leser auch für die nächste Ausgabe zu gewinnen. Das Medium hat eine andere Erzählstruktur als Romane und kämpft immer mit der Balance zwischen einer abgeschlossenen Ausgabe und der fortzuführenden Handlung. Besonders wenn du an einer Reihe arbeitest, kannst du von Comics noch viel über den letzten Satz lernen.
Wie wollen wir den Leser entlassen?
Die vielleicht wichtigste Frage, die du dir stellen musst, ist: Mit was für einem Gefühl will ich den Leser entlassen? Soll es ein positives Gefühl sein oder negativ? Traurig oder euphorisch? Wütend oder gelassen? Melancholisch oder zufrieden? Soll er erleichtert aufatmen oder geschockt die Luft anhalten?
Das Schlimmste, was euch passieren kann, ist Gleichgültigkeit, denn sie hat zur Folge, dass eure Geschichte leichter in Vergessenheit gerät und das will schließlich niemand, der ein paar Tausend Worte zu Papier gebracht hat, um sie mit der Welt zu teilen.
Die Enden, an die ich mich besonders erinnere, haben mich immer emotional beeinflusst.
Ich werde nie die traurige Wut vergessen, die mich noch lange nach dem Ende von Romeo & Julia begleitet hat. Die Melancholie, die mich nach Neil Gaimans The Graveyard Book überfiel oder die zufriedene Taubheit mit der J.K. Rowlings Harry Potter-Saga ihr Ende fand und die sie mit nur drei Worten perfekt auf den Punkt brachte. Auch Jahre später sind diese drei Worte unvergessen, denn mit ihnen schaffte Rowling es, sieben Bände erfolgreich abzuschätzen und zu zeigen, dass Harrys Reise wahrlich vorbei ist.
Eines der fiesesten Enden, die ich je gelesen habe, stammt aus The Rising von Brian Keene. Nachdem ich über mehrere hundert Seiten mit den Figuren mitgefiebert habe und endlich erfahren soll, ob die leidige Reise des Protagonisten ein Happy End nimmt … hört es auf. Keene endet mitten in einer Szene und überlässt es dem Leser, wie die Geschichte ihr Ende findet, auch wenn die Andeutung, dass es eine negative Wendung gibt, da ist. Höllisch gemein? Ja. Höllisch wirksam? Auf jeden Fall. Selbst wenn ich das Buch nur mittelmäßig fand, das Ende hat so einen Eindruck hinterlassen, dass ich es noch Jahre später im Kopf habe. Es ist das Ende ohne Ende, das zeigt, dass die Geschichte auch ohne den Leser weiter geht und das die Geschichte im Kopf lebendig hält. Es ist riskant, aber auch effektvoll.
Mein Abspann
Wie dir sicher aufgefallen ist, habe ich keine zu konkreten Tipps gegeben, wie man einen letzten Satz schreibt. Das liegt daran, dass es, wie schon beim ersten Satz, kein Patentrezept gibt.
Mir geht es beispielsweise beim Schreiben so, dass ich den letzten Satz erst erkenne, wenn ich ihn gerade tippe und plötzlich weiß, dass es vorbei ist, während andere Autoren ihn noch vor dem ersten kennen.
Aber auch wenn es keine Liste gibt, die du abzuarbeiten kannst, um einen großartigen, letzten Satz zu schreiben, gibt es ein paar Richtlinien, die dir helfen können:
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Sieh dir die letzten Sätze deiner (Anti-)Lieblingsbücher an und versuche zu verstehen, warum gerade sie dich (nicht) berührt haben.
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In der Kürze liegt die Würze – kurze und knackige letzte Sätze haben oft eine größere Wirkung als lange Schachtelsätze.
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Wenn du den Leser während des ganzen Buches nicht persönlich angesprochen hast, dann lass es auch am Ende und stell ihm keine Frage.
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Vermeide Klischees wie „Und das war erst der Anfang.“, „Sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ oder „Es war vorbei … oder?“
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Schreiben ist Korrigieren. Du musst den letzten Satz nicht beim ersten Mal perfekt hinbekommen. Wenn du dein Ende getippt hast, musst du sowieso noch korrigieren und manchmal erschließt sich der perfekte Schlusssatz erst, wenn du deine eigene Geschichte noch ein(paar)mal gelesen hast. Sei daher nicht zu kritisch mit dir selbst, wenn der erste Versuch noch nicht optimal ist.
Ein gelungenes Ende ist ein Balanceakt. Vor allem ist wichtig zu wissen, was du ausdrücken möchtest und mit welchem Gefühl du deinen Leser zurück in die Welt schicken möchtest. Egal, für welche Art Ende du dich letztlich entscheidest, sorge dafür, dass es deinen Leser berührt. Denn selbst wenn er dich verteufelt, er wird deine Geschichte nicht vergessen. Und dafür wird er dir danken.
Diskussion
Hast du einen Trick für den letzten Satz? Welche Art Ende bevorzugst du? Abgeschlossen oder offen? Welcher letzte Satz hat dich am meisten berührt?